Skip to content

Schußwaffengebrauch in früher Kindheit

Endlich weiß ich, woher ich seit frühster Kindheit den Unfug her habe: Von meinem Vater!

Meiner Schwester ist heute eingefallen, dass da mal eine Situation war, wo sie -eingehüllt in Mutters zartestes Neglige (natürlich ist sie ständig darüber gestolpert, weil doch etwas lang für sie) - mit einem alten Armee-Revolver Einbrecher verjagen wollte. Bei der Gelegenheit ist uns dann gemeinsam eingefallen, dass mein Vater mal diesen Revolver abgefeuert hat, das aber im Wohnzimmer und leider, leider noch eine Tränengaspatrone im Lauf steckte.

Die folgenden Wochen konnte man sich übrigens in keinem der Wohnzimmer aufhalten und es hat wirklich lange gedauert, bis man dort wieder atmen konnte. Bis meine Mutter aufhörte, nach Luft zu schnappen, hat noch etwas länger gedauert, aber das lag wohl mehr an ihrer Empörung als am Tränengas.

Irgendwie finde ich die Geschichte aber auch etwas traurig, denn ich wäre lieber selber Schuld an all dem Unfug meiner Kindheit

Früh übt sich, was kein Mädchen werden will

Weihnachten war eine schwierige Zeit. Schon immer!

Nicht genug damit, dass es regelmäßig eine Überdosis Familie gab (und damit leider eine Überdosis Aufmerksamkeit), es strapazierte meine Geduld regelmäßig über Gebühr. Wegen der ständig anwachsenden Anzahl von Geschenken, die irgendwo versteckt werden mussten, wurde mein Zuhause zu einer immer größeren Sperrzone, was immerhin den Vorteil hatte, dass ich ziemlich viel raus durfte, aber wann immer ich doch mal Zuhause war, hatte ich garantiert irgend einen Erwachsenen im Nacken, der ständig guckte, ob ich bloß nicht aus Versehen eines dieser hochgeheimen Verstecke finden würde (was völliger Blödsinn war, ich interessierte mich sowieso nicht für Geschenke und das aus gutem Grund!).

Heilig Abend war immer besonders schlimm, denn da zog sich meine Mutter mit dem Weihnachtsmann ins hintere Wohnzimmer zurück: Weihnachtsbaum schmücken! Die Beiden (also Mutter und der Weihnachtsmann) brachten meine kompletten Wirkungskreise durcheinander denn mal ganz abgesehen von Weihnachten, hatte ja auch ich meine Geheimverstecke und zwar ganzjährig, um die Weihnachtszeit aber echte Probleme, da dran zu kommen (außerdem bestand das Risiko, dass meine Mutter bei der Suche nach Verstecken versehentlich eines meiner Verstecke fand).

Eines Abends fand ich mich dann auch vor der verschlossenen Wohnzimmertür und quengelte, wie lange das denn noch dauern würde (ich hatte mal wieder einen Wecker zerlegt und wollte die belastenden Reste in meinem üblichen Versteck verschwinden lassen, Mülleimer schieden für sowas nämlich aus, die wurden eingehend untersucht, bevor sie das Haus verließen) und meine Mutter erklärte, sie und der Weihnachtsmann hätten noch hundert silberne und hundert goldene Lamettafäden aufzuhängen. Da ich wußte, dass bei uns Lametta einzeln aufgehängt wurde, brach ich kurzerhand mit einem Weinkrampf vor der Tür zusammen, was den Nachteil hatte, dass meine Mutter sofort die Tür öffnete und mich trösten wollte und ich keine Zeit mehr hatte, den frisch zerlegten Wecker verschwinden zu lassen.

Wenn dann der Baum endlich mal fertig war, gab es dann auch irgendwann die Bescherung, die aus meiner Sicht immer eine echte Bescherung war, denn nach wie vor hielt sich hartnäckig das Gerücht, ich sei ein Mädchen und entsprechend bekam ich immer Mädchenkram. Nur im zarten Alter von fünf gab es eine erfreuliche Ausnahme, wenn auch erst im zweiten Anlauf:

Vati hatte uns Puppenwagen gekauft. Aus England, mit echter Seide bespannt und natürlich sündhaft teuer. Meine Schwester bekam das Modell mit rosa Seide, ich das mit himmelblauer Seide. Grau-en-haft!

Meine Schwester war hingerissen und schleppte sofort all ihre Puppen an, ich machte (schon mangels Puppen) erst mal eine Denkpause, bedankte mich artig und zog mit dem ungewollten Puppenwagen davon.

Dreißig Minuten später war ich wieder da, mit Puppenwagen und strahlendem Gesicht! Ich hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis ich die ganze olle Seide endlich abgerissen hatte, die Seidendeckchen und -kissen im Müll versenkt und in dem -jetzt Bollerwagen- all mein Werkzeug und meinen Krempel verstaut hatte und Vati erklärte, er sei der beste Vati auf der ganzen Welt.

Soweit ich mich erinnere, war das allerdings das einzige Weihnachten, das mir jemals gefallen hat und Ostern finde ich mindestens genau so doof.

Immer wieder sonntags ...

Sonntage waren in meiner frühen Kindheit schwierig.

Etwas erträglicher wurden sie nur, wenn ich mich daneben benommen hatte, was im ersten Moment mal unlogisch klingt.

Das Schwierige an Sonntagen waren nicht so sehr die Kirchgänge, das kannte ich schon von während der Woche und irgendwie hatte ich mich daran auch gewöhnt, das Schwierige waren Seidenschleifchen!

Sontags wurde ich "fein gemacht" und dazu wurde ich aus meiner (inzwischen heiß geliebten) Lederhose geschält und in ein Kleidchen gesteckt und dann begann das Haar-Drama: Ich hatte sehr lange Haare und das strikte Verbot, die abzuschneiden (an irgendwas sollte man erkennen können, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen war), was mich nicht daran hinderte, es immer wieder zu versuchen, denn lange Haare waren lästig. Nachdem meine Haare also erst mal eine halbe Ewigkeit gebürstet wurden, wurden sie anschließend zu Zöpfen geflochten (bis dahin entsprach das noch dem Wochentags-Prozedere), aber dann kamen die Seidenschleifchen. Es gab Seidenschleifchen in allen Farben, passend zu allen Kleidchen und immer waren sie frisch gebügelt. Meine Großmutter war erklärte Tee-Trinkerin und immer stand ein hochglanzpolierter Kessel auf dem Herd. Über diesen heißen Kessel wurden die Seidenschleifchen gezogen, was genauso gut war wie bügeln und dann wurden die gebügelten Schleifchen in meine Zöpfe gebunden und ab da sollte ich mich dann benehmen (ich vermute, damit war gemeint, dass ich mich wie ein Mädchen benehmen sollte, kam also nicht in Frage) und vor allem auf die doofen Schleifchen aufpassen.

Ich wollte keine Schleifchen, ich fand Schleifchen doof, lästig, störend, aber offensichtlich war das meine Mutter, wie auch meiner Großmutter, wichtig, denn warum sonst hätten sie sich soviel Arbeit damit gemacht? Also versuchte ich, auf meine Schleifchen aufzupassen, sie nicht zu verlieren, nicht zu verknittern und möglichst da zu lassen, wo sie waren. Kurz: Ich war praktisch vollständig handlungsunfähig!

Nur wenn ich mich danaben benommen hatte, wurde ich von der Schleifchen-Zuteilung ausgeschlossen und zur Strafe mußte ich sonntags in einem farbverkleckerten Hemdchen (meine Großmutter war Künstlerin und arbeitete nebem Metallen auch viel mit Farbe und ihre Hemden, aus denen längst die vielen Flecken nicht mehr rausgingen, waren für mich groß genug als Kittelchen)  und offenen Haaren auf die Straße gehen. Alle Leute sollten sehen, dass ich kein braves, hübsches Mädchen war.

Es war einfach toll!

Neue Werte

Die Schule änderte viel in meinem Leben. Bereits das zweite Mal hatte der Ernst des Lebens begonnen (das erste Mal war der Kindergarten gewesen und ich ahnte noch nicht, wie oft in den nächsten Jahren dieser Ernst noch beginnen würde) und ziemlich schnell hatte ich mich an den Schulalltag gewöhnt.

Meine Klassenkameraden fand ich zwar alle irgendwie nicht so spannend (wieder so eine Horde äußerst wohlerzogener Geschöpfe und ich mitten drin), aber mein Klassenlehrer war toll! Herr Funnekötter entsprach so ziemlich dem, wie ich mir einen Großvater gewünscht hätte (trotz sieben Ehen meiner Großmutter war am Ende kein einziger Großvater für mich übrig geblieben, der letzte verstarb am Tag meiner Geburt, da ich aber ein wasserdichtes Alibi hatte -ich war in der Klinik- konnte man mir das nicht anlasten!) und war fortan die höchste Instanz in meinem Leben.

Meine Mutter hatte damit kein Problem, allerdings ihre liebe Not, denn als die Wochentage dran kamen, mußte sie sich ungewollt einer Kraftprobe stellen.

Schuld war natürlich wieder ich, ich hatte die Woche nämlich falsch abgeschrieben und so ging bei mir die Woche etwas anders: Montag, Mittwoch, Dienstag, Donnerstag, ... Natürlich teilte ich mein frisch erworbenes Wissen daheim umgehend mit und meine Mutter war angemessen beeindruckt, wollte das mit dem Dienstag und Mittwoch aber korrigiert wissen. Ein völlig hoffnungsloses Unterfangen, denn Herr Funnekötter hatte gesagt ... und was Herr Funnekötter sagte, stand außerhalb jeglicher Diskussion.

Meine Mutter versuchte wirklich alles und schleppte Kalender an, in denen überall nach Montag der Dienstag kam, aber das war egal und alles falsch, denn Herr Funnekötter hatte gesagt ...

Es blieb meiner Mutter nichts übrig, als mit mir zusammen zur Schule zu gehen und Herrn Funnekötter zu bitten, die Wochentage in meinem kleinen Universum neu zu sortieren, was der dann umgehend und völlig reibungslos tat. Wenn Herr Funnekötter sagte, nach Montag kommt Dienstag, dann war das so und es war völlig egal, wie das gestern gewesen war.

Leider nutzte Herr Funnekötter die Sommerferien dazu, aus dem Leben zu scheiden (vor allem aus meinem übrigens) und nach den Ferien trat Frau Kaufmann als neue Klassenlehrerin an. Ich mochte sie, aber sie hat nie den Status von Herrn Funnekötter erreichen können und nachdem mir die Fluktuation im Bereich der Führungskräfte dann doch etwas schwindelerregend schnell verlief (Schwester Tadea hatte ich ja auch bereits hinter mir gelassen), blieb ich von da an doch etwas auf Distanz zu allen weiteren Führungskräften. Irgendwie hielten die alle nie so richtig lange und dafür brachten sie mein kleines Weltbild schlicht zu sehr durcheinander und fortan hielt ich mich an mich selber als höchste Instanz für alle Werte und Entscheidungen.

Was wäre wohl aus mir geworden, wenn Herr Funnekötter das Rentenalter erreicht hätte?

Wieso hört keiner auf mich?

Man kann nicht behaupten, ich sei so ganz ohne Vorwarnung über die Welt hereingebrochen!

Ganz abgesehen davon, dass ich für meine Mutter wohl keine sonderlich ruhige Schwangerschaft gewesen war (meine Schwester hatte sich natürlich vorbildlich verhalten), war auch meine Geburt eine etwas schwierige Angelegenheit gewesen und vor allem mein Versuch, von Anfang an klarzumachen, dass das mit mir nichts wird, aber auf mich wollte ja keiner hören.

Wie sich das für meine Familie gehörte, lang meine Mutter standesgemäß in der teuersten Privatklinik der Stadt und bemühte sich (vergeblich!) dem Professor klarzumachen, dass das mit der Geburt längst überfällig war, aber als Professor wußte er das besser.

Irgendwo hatte aber auch ich meine Sturheit her und meine Mutter bestand schließlich darauf, die Geburt künstlich einleiten zu lassen (damals nicht gerade üblich und zudem ziemlich riskant), es wurde also mit einer sehr langen, sehr dünnen und sehr spitzen Nadel die Fruchtblase angestochen und kurz danach kam ich dann endlich zur Welt, wenn auch blutüberströmt und laut brüllend. Der gute Professor hatte es mit der Nadel etwas zu gut gemeint und so nicht nur die Fruchtblase angestochen, sondern mir das Dinge genau zwischen die Augen und wenn man bedenkt, dass auch Dickschädel bei der Geburt noch einen ziemlich kleinen Kopf haben, grenzt es fast an ein Wunder, dass er mir nicht ein Auge ausgestochen hat oder mich gleich komplett erledigt hatte.

Meine Mutter hatte übrigens Recht gehabt mit ihrer Berechnung, denn ich zeigte bereits starke Fruchtwasservergiftungen. Die Haut hing an vielen Stellen lose an mir runter, ich roch ziemlich gammelig und hatte überall am Körper dicke, gelbe Stippen mit schwarzen Punkten drauf (Eiterblasen). Das Highlight müssen aber meine Haare gewesen sein: Ich hatte büschelweise pechschwarze Haare, die senkrecht vom Kopf abstanden und hart wie Draht waren, wovon aber nicht zwei die gleiche Länge hatten und die Schwestern nannten mich "den wildgewordenen Handfeger" und mit diesen markanten Merkmalen ist absolut sicher, dass ich später nicht verwechselt wurde, mich hätte man überall rausgefunden.

Alles in allem war das aber eine klare Ansage gewesen, die nur niemand verstanden hatte: Von Anfang an hatte ich versucht, meiner Mutter klarzumachen, dass das mit mir nur Probleme gibt und sie das mit meiner Geburt besser lassen sollte, aber sie mußte sich ja unbedingt einen Professor dazuholen und auch mein Versuch, mich in die Nadel zu stürzen und meine Geburt doch noch irgendwie zu verhindern, war ignoriert worden.

Tja, dann kein Mitleid, Ihr habt es so gewollt!

Gewalt ist in Einzelfällen doch eine Lösung

Man mag es kaum glauben, aber ich hatte eine schwere Kindheit!

Naja, nicht durchgehend, aber der Teil mit meiner Schwester war schon ziemlich anstrengend.

Die ersten Jahre hatte ich sie kaum wahrgenommen, da sie ja dauernd mit Mädchenkram beschäftigt war, danach fand ich sie die nächsten Jahre schlicht doof.

Sie hingegen fand mich lästig, denn dauernd sollte sie auf mich aufpassen, was vermutlich keine wirklich leichte Aufgabe war, denn erstens war ich nie da, wo ich sein sollte und zweitens machte ich da wo ich nicht sein sollte garantiert Sachen, die ich auf keinen Fall machen sollte.

Irgendwann verdarb Geld unser beider Charakter. Meine Schwester brauchte mehr davon als sie hatte (sie war inzwischen in der Barbiepuppen-Phase angekommen und der Krempel von Martell kostete Unsummen), ich kletterte immer noch in Bäumen rum und das kostete nichts (naja, wenn man mal davon absieht, dass es meine Mutter ziemlich Nerven gekostet hat) und so war ich ziemlich bald sowas wie reich.

Wir bekamen beide Taschengeld und zeitgleich feste Aufgaben (es gibt nichts umsonst, man muß sich alles verdienen!) und darüber hinaus gab es eine reichhaltige Liste mit Aufgaben, mit denen man sein "Einkommen" aufbessern konnte (Schuhe putzen -nicht die eigenen!- brachte 50 Pfennig, Knopf an Vatis Hemd annähen 1 Mark, Knopf an Bettwäsche annähnen 50 Pfennig, Handtücher zusammenlegen pro Wäschekorb 1 Mark, ...).

Die festen Aufgaben wechselten wochenweise (Spülen oder Abtrocknen, Mülleimer rausbringen oder Flaschen wegbringen,...) und erfreuten sich unterschiedlichem Unbeliebtheitsgrad (Spülen war eindeutig beliebter als Abtrocknen, beides irgendwie ziemlich blöd und vermutlich nur pädagogisch wertvoll, wir hatten nämlich eine Spülmaschine, nach dem Abendessen wurde aber von den Kindern abgewaschen und abgetrocknet) und meine Schwester verstand es, regelmäßig die beliebteren Dinge zu tun, wahlweise mir alles zu überlassen, derweil ich ihr mein Taschengeld überlassen durfte. Tat ich das nicht, drohte sie mir an, unserer Mutter zu erzählen, ich habe dieses oder jenes angestellt und mein Einwand, dass das ja gelogen wäre, beeindruckte sie wenig "Mama glaubt mir sowieso mehr als Dir, Du stellt ja sowieso ständig irgendwas an!" womit sie nicht ganz unrecht hatte und ich annahm, dass das funktionieren könnte.

Auf Dauer gefiel mir das aber nicht und eines Tages stand sie wieder vor mir und verlangte mein Taschengeld. Das wäre ja noch fast in Ordnung gewesen, denn Geld interessierte mich nicht, was mich aber zunehmend störte, war ihr hämisches "Heul doch, heul doch!", womit klar war, mit Mitleid war da nicht zu rechnen und das würde wohl für immer so bleiben. Was blieb mir also?

Ich holte weit aus und verpaßte meiner Schwester eine schallende Ohrfeige, die so perplex war, dass sie schlagartig still war, wärend ich ziemlich überrascht feststellte, dass das ein ziemlich gutes Gefühl gewesen war und so holte ich nochmal aus und knallte ihr noch eine.

Damit war die Sache dann ein für alle mal geregelt und im weiteren Verlauf unserer frühen Kindheit wechselten die festen Aufgaben wieder regelmäßig, ich häufte ein kleines Vermögen an (ich hatte immer noch so recht keine Verwendung für Taschengeld) und wenn ich wirklich nicht mehr wußte, wohin damit, kaufte ich für meine Schwester ein Barbie-Kleidchen, die sich riesig freute.

An sich hatte sich damit zwar an der endgültigen Verwendung meines Taschengeldes nicht sonderlich viel geändert, jetzt tat ich das aber freiwillig, zu einem Zeitpunkt, den ich bestimmte und statt mich zu unterdrücken, liebte meine Schwester mich heiß und innig. An zwei Sachen davon hat sich bis heute nichts geändert: Ich reagiere ausgesprochen heftig und mit extremem Wiederstand auf Druck und meine Schwester liebt mich immer noch heiß und innig.

Wie ich finde, ein ziemlich guter Deal für das bischen Taschengeld.

Wie ich lesen und schreiben gelernt habe

... und warum ich mich über den inflationären Gebrauch des Wortes "Motivation" ärgere.

Da meine Schwester fast zwei Jahre älter ist als ich, hatte sie schon einen ernsten Job (die Schule), während ich immer noch im Sandkasten (Kindergarten) hockte und ich beneidete sie glühend. Sie lernte jeden Tag spannende Sachen und hatte so aufregende Herausforderungen wie Hausaufgaben zu bewältigen, während mir immer noch jeden Abend die Taschen nach Fröschen, Schnecken und Käfern umgedreht wurden und meine Mutter sich langsam an den Gedanken gewöhnte, dass aus mir vermutlich niemals eine junge Dame werden würde. Vielleicht aber, so hoffte sie im Stillen, würde aus mir wenigstens eine kluge junge ... hm ... Person werden (das mit der "Dame" war wirklich sehr unwahrscheinlich)?

Eines Tages kam sie mit zwei dicken Mappen heim, die eine feuerrot eingebunden, die andere dunkelblau. Neugierig fragte ich, was das denn sei und sie erklärte mir, dass diese Mappen für mich wären, allerdings noch nicht jetzt, denn ich könne bestimmt noch nichts damit anfangen.

Nanu? Also das wollte ich natürlich genauer wissen und so löcherte ich sie so lange, bis sie mir schließlich die Mappen zeigte und mir erklärte, dass das rote eine Rechenfibel und das blaue eine Lesefibel sei, ich damit aber bestimmt noch nichts anfangen könne, bevor ich in die Schule käme, denn damit müsse man lernen und Aufgaben machen und ich würde bestimmt lieber den ganzen Tag spielen statt so langweilige Sachen zu machen.

Lernen? Hausaufgaben? Na und ob ich das wollte! Sofort und auf der Stelle und so dringend wie überhaupt nichts, das ich jemals gewollt hatte!

Meine Mutter ließ mich zwei Tage betteln und schmoren, bevor sie sich endlich "breitschlagen" ließ, mit mir zusammen die beiden Fibeln zu bearbeiten und so lernte ich Lesen, Schreiben und Rechnen lange bevor ich in die Schule kam und das noch mit einer Begeisterung, die kaum Grenzen kannte.

Viele Jahre später haben wir uns mal darüber unterhalten und meine Mutter erzählte, dass sie genau das hatte bewirken wollen: Dass ihre Tochter mit Begeisterung und hochmotiviert lernt, dass sie sich aber durchaus bewußt gewesen war, dass Motivation nur greift, wenn sie auf den nötigen Ehrgeiz trifft und das richtige Thema zum richtigen Zeitpunkt gewählt wird.

Was meine Mutter schon vor Jahrzehnten wußte und erfolgreich anzuwenden verstand, scheint heutzutage verloren gegangen zu sein:
Heute redet man über Motivation, als sei das etwas, das man beliebig mit der Gießkanne über Mitarbeiter auschütten könne und dann funktionieren muß. Funktioniert das nicht, ist man frustriert. Motivation ist aber keine eindimensionale Angelegenheit, Motivation greift auch heute nur, wenn es das richtige Thema ist, zum richtigen Zeitpunkt und wenn sie auf Ehrgeiz trifft und überhaupt noch nie hat der Anspruch "Motivier' mich mal" funktioniert.

Das Leben ist ziemlich einfach, wenn man mal das ganze Bromborium wegläßt und statt "mit dem Blick auf das Große" die Dinge in ihrer Winzigkeit betrachtet.

Die Sache mit dem Schule schwänzen

Natürlich hatte Silvia Koch einen schlechten Einfluß auf mich und bald begann ich, die Schule zu schwänzen, Silvia ging da nämlich nicht gerne hin, weil die Seidenblüschen sie alle nicht leiden konnten und sie die Lehrer nicht, die das mit schlechten Noten honorierten.

Irgendwann wurde das aber problematisch, denn wo sollte ich die Entschuldigungen für die Schule herbekommen? Tja, Schreiben konnte ich ja, also schrieb ich die selber, war aber wohl ein grottenschlechter Urkundenfälscher und so bekam meine Mutter recht bald eine Einladung in die Schule, wo man ihr meine Fälschungen vorlegte. Meine Mutter sah sich das an und erklärte, dass sie nicht wisse, wozu man sie hergebeten habe, es war ja bekannt, dass ich schon immer meine Entschuldigungen selber schrieb, schließlich hatte ich ja gefehlt und nicht sie und sie das dann nur unterschriebe.

Ja, das wußte man, aber das wäre doch überhaupt nicht ihre Unterschrift!

"Aber natürlich ist das meine Unterschrift!" erklärte sie, "Meine Tochter legt mir das morgens hin und da schlafe ich manchmal noch, darum ist das manchmal etwas krakelig. Wer sollte das denn wohl sonst unterschrieben haben?!"

Damit war die Sache erledigt, zumindest der öffentliche Teil. Ich bekam Zuhause eine Standpauke, die sich gewaschen hatte, eine Woche Hausarrest und einen Monat kostenloses Bettwäsche-Knöpfe-Annähen aufgebrummt.(Der letzte Teil war nicht wirklich dramatisch, wir hatten eine Wäschefrau, die für Knöpfe zuständig war und das sehr zuverlässig erledigte. Als Lohn reichte ihr mein Lächeln und dass sie mir eine Freude machen konnte.)

Zusätzlich bekam ich die Erklärung, dass man Menschen, die einem nahestehen, nicht ausliefert, sondern solche Dinge (soweit sie nicht wirklich gravierend waren und niemand geschädigt worden war) unter vier Augen regelt.

Ich halte das heute noch so (nein, ich fälsche keine Unterschriften mehr) und finde es vollkommen daneben, Menschen vor versammelter Truppe zu maßregeln oder zu bestrafen, was nicht bedeutet, dass sie nicht bestraft werden und alles ok ist.

Ich habe danach übrigens nie wieder Schule geschwänzt, oder jedenfalls fast nie und wenn, überhaupt nur mit Einverständnis meiner Mutter, die mir einen faulen Tag durchaus mal gönnte und den dann auch mit mir zusammen verbrachte. Wir hatten ziemlich viel Spaß an solchen Tagen.

Erste Kontakte mit sozialen Rändern

Endlich war ich in der Schule und gleich gingen die Probleme los!

Während bis dahin mein soziales Umfeld ausgesprochen wohlgeordnet war, ich kam schließlich aus sehr, sehr gutem Hause, wurde das nun etwas gemischter.

Als "höhere Tochter" war ich selbstverständlich in der damals besten Privatklinik der Stadt zur Welt gekommen, um später im besten Kindergarten der Stadt unter ebenso strenger wie kluger und gütiger Aufsicht von Nonnen erste soziale Kontakte zu pflegen. Jetzt, in der Schule, war das schon etwas (wenn auch wirklich nur etwas) anders: Die Mehrzahl der Kinder kam zwar ebenfalls aus sehr guten Familien, aber es gab auch ein paar wenige Ausnahmen. Eine davon war Silvia Koch!

Silvia stammte eindeutig aus asozialen Verhältnissen: Der arbeitslose Vater war annähernd ständig betrunken, der jugendliche Bruder mindestens mal halbkriminell (die Polizei war häufiger, wenn auch nicht gern gesehener Gast bei Familie Koch), die Mutter rannte mittags noch halbnackt in schwarzen Strapsen und BH durch eine Wohnung, die sich nur mit dem Begriff "Saustall" halbwegs zutreffend beschreiben läßt. Zwischen all den wohlerzogenen Mädchen in weißen Kniestrümpfen, sauber gekämmten Pferdeschwänzen und frisch gebügelten Spitzenblüschen war Silvia mit ihren abgebrochenen Schneidezähnen, den schmuddeligen Anziehsachen und irgendwie nie richtig sauber, ein absoluter Außenseiter. Sie hatte zwar eine Kodderschnautze und alle hatten Angst vor ihr, weil Gewalt das einzige Ausdrucksmittel war, das sie kannte und beherrschte, ganz innen drin hatte sie aber den glühenden Wunsch, dazu zu gehören. Natürlich völlig hoffnungslos, denn die Seidenblüschen würden sie nie mitspielen lassen.

Mit mir hätten die zwar gerne gespielt, nur fand ich das alles langweilig und am liebsten spielte ich mit den Jungs Fußball (ich war das einzige Mädchen, dass bei den Jungs mitspielen durfte!). Da war Silvia schon viel interessanter und so freundete ich mich mit ihr an.

Das beunruhigte dann allerdings meine Lehrer, was mir reichlich egal war und so wurde ich eines Tages zum Rektor zitiert. Auf dem Weg in sein Büro ging ich schnell im Kopf meine aktuellen Missetaten durch, fand auf die Schnelle aber nichts, was eine Vorladung beim Rektor gerechtfertigt hätte, also sparte ich mir jedes Schuldbewußtsein und wartete erst mal ab.

Der Rektor hielt mir einen langen und genauso ernsten Vortrag über soziale Unterschiede, der schließlich mit der klaren Feststellung endete, dass Silvia Koch kein geeigneter Umgang für mich sei.

Aha?

Da ich die Hälfte von dem, was der Rektor mir erzählt hatte, sowieso nicht verstanden hatte, ging ich nach der Schule ausnahmsweise mal direkt nach Hause (üblicherweise war mit mir erst bei Einbruch der Dunkelheit zu rechnen und "Mittagessen" war eine Veranstaltung die ich mehr vom Hörensagen als aus der Praxis kannte) und erzählte das alles meiner Mutter, die am nächsten Morgen postwendend mit mir an der Hand beim Rektor erschien.

Meine Mutter ließ sich vom Rektor das Gespräch nochmal wiedergeben, holte ziemlich tief Luft und sagte zum Rektor: "Meine Tochter hat Ihnen dazu etwas zu sagen. Gestern ist sie nicht dazu gekommen, darum bin ich heute dabei!" und blickte mich aufmunternd und irgendwie auch erwartungsvoll an.

Das mit dem "tief Luft holen" fand ich irgendwie beeindruckend, also holte ich auch tief Luft und erklärte: "Ich suche mir meine Freunde alleine aus!"

Meine Mutter nickte einen kurzen Gruß in Richtung Rektor, nahm meine Hand und wir gingen. Erst viel später habe ich erfahren, dass sie dem Rektor noch versprochen hatte, das gerne mit dem Schulrat zu besprechen, falls mein Rektor mit meiner Entscheidung Probleme haben sollte.

Bis heute hat sich an meiner Haltung übrigens nichts geändert und ich reagiere hochgradig allergisch, wenn jemand versucht, mir vorzuschreiben, mit wem ich befreundet zu sein habe.

Mein Wille geschehe!

Es gibt eine ganze Menge Menschen, die behaupten, ich sei eigenwillig und sie haben einfach nur Recht!

Schon früh hatte man mir beigebracht, dass es gesellschaftliche Konventionen gab, Anforderungen, die "man" an mich stellen würde (die Zusatzfrage, wer "man" denn überhaupt sei), Erwartungen und Pflichten, die mir von außen auferlegt wurden.

Gleichzeitig wurde mir beigebracht, dass ich einen freien Willen habe und es ganz alleine meine Entscheidung sei, wie weit ich diesen Anforderungen nachgebe und diese Entscheidung sei jeden Tag neu zu treffen.

Prima Sache, die nur einen klitzekleinen Haken hatte: Ich sollte mir immer darüber im Klaren sein, welche Konsequenzen das haben würde, die gestellten Anforderungen nicht zu erfüllen und jederzeit bereit sein, die Konsequenzen dafür zu tragen.

Und noch etwas brachte man mir bei: Es gab immer einen leichten und einen schweren Weg. Sobald ich mich damit auseinandergesetzt und meine Entscheidung getroffen hatten, gab es noch etwas: MEINEN Weg!

Leicht ist das nicht, aber ich gehe ihn immer noch und rechne nicht damit, dass sich daran noch was ändern wird.

Zerstörter Kinderglaube

Bis ich in den Kindergarten kam, glaubte ich nicht nur, dass Erwachsene das sind, woran man fest glauben und woran man sich orientieren kann, nein, ich wußte es! Und ich glaube, bis dahin war ich auch ziemlich naiv.

Jede Woche waren pro Kind im Kindergarten 5 DM für Mittagessen zu bezahlen und da meine Mutter wußte, dass ich immer ziemlich beschäftigt mit meiner eigenen Welt war, gab sie meine 5 DM lieber meiner Schwester, die war nämlich immer artig und tat, was man ihr sagte.
Eines Tages aber übergab sie mir die heiligen 5 DM und gab mir den Auftrag, gut darauf aufzupassen und sie Schwester Tadea (das war die leitende Nonne im Kindergarten und zu der Zeit die zweitwichtigste Instanz in meinem Leben -direkt nach meiner Mutter also) zu übergeben. Es folgte noch die Erklärung, was Verantwortung sei und so trug ich also beides zum Kindergarten: Die 5 DM und die Verantwortung dafür.

Vermutlich wäre nichts passiert, wenn nicht ausgerechnet an dem Tag Schwester Tadea einen Termin gehabt hätte und erst später gekommen wäre, denn so konnte ich mich meiner Verantwortung nicht schnell entledigen und trug den halben Vormittag ziemlich schwer daran. Meine Kindergartentante hatte ich natürlich sofort über diese wichtige Aufgabe informiert und auch sie bestätigte, dass ich gut aufpassen müsse!

Etwa zwei Stunden später (Schwester Tadea war immer noch nicht da), sagte meine Kindergartentante, ich solle ihr doch bitte mal meine 5 DM geben, was ich natürlich tat. Sie war den Vormittag damit beschäftigt gewesen, aus einer Kokosnuß ein Sparschwein zu machen. Da sollten Spenden für die armen Kinder in Afrika rein und sie mühte sich mit dem Schlitz ab. Ausführlich hatte sie uns erklärt, wie es den Kindern in Afrika geht, dass sie hungen müssen und dass Spenden etwas sei, das ebenso löblich wie freiwillig sei.

Und dann passierte das Furchtbare: Meine Kindergartentante stecke meine 5 DM in diese Spenden-Kokosnuß!

Von wegen freiwillig, von wegen vertrauensvolle Kindergartentante! Die kassierte erst meine 5 DM, dann das Lob für die Spende und ich würde die Probleme haben, denn wie sollte ich denn jetzt erklären, wo die 5 DM geblieben waren? Ich hatte die abgeben, nicht spenden sollen!

Ich brach in Tränen aus und war nicht zu beruhigen, bis Schwester Tadea eintraf, die mich sofort auf den Arm nahm und sich erzählen ließ, was denn passiert sei. Schluchzend erzählte ich ihr, wie das mit der Verantwortung und dem Spenden gewesen sei und meine Mutter jetzt bestimmt furchtbar enttäuscht sei und überhaupt, dass ich nie, nie wieder mit dieser Kindergartentante reden wollte.

Die Kindergartentante versucht, das alles zu erklären und zeigte mir meine 5 DM, sie habe doch nur probieren wollen, ob der Schlitz groß genug sei und das Sparschwein doch unten noch offen sei, es wäre also überhaupt nichts passiert und das täte ihr auch alles sehr leid, aber es half nichts, denn dann machte sie gleich den nächsten Fehler: Sie nahm meine 5 DM und gab sie Schwester Tadea, dabei war das doch meine und nur meine Aufgabe.

Schwester Tadea erkannte das sofort, gab ihr das Geldstück zurück und erklärte, das gehöre ja wohl mir, also müsse sie es mir zurückgeben und dann endlich konnte ich die heiligen 5 DM an Schwester Tadea übergeben und die Welt war soweit erst mal wieder in Ordnung.

Nur das mit der Kindergartentante kam nie wieder in Ordnung, denn fortan weigerte ich mich, auch nur ein einziges Wort mit ihr zu reden und nach drei -sehr schweigsamen- Wochen entschied Schwester Tadea schließlich, dass ich in eine andere Kindergartengruppe zu einer anderen Kindergartentante kam.

Bis heute habe ich zwar ein recht lässiges Verhältnis zu eigenem Geld, bin aber ausgesprochen pingelig mit fremdem Geld und dafür sollte ich ihr vielleicht dankbar sein, aber ich kann sie immer noch nicht leiden und daran wird sich nie, niemals etwas ändern!

Gut gemeint ist nicht automatisch auch gut gemacht

Meine Großmutter war schon eine beeindruckende Frau.

Ursprünglich Wienerin (was etwas völlig anderes ist als etwa "Österreicherin", wie ich früh lernte, wobei mir nie klar war, wo da jetzt der Unterschied ist), war sie als Architektin nach Deutschland gekommen und zu ihrer Zeit eine recht bekannte Künstlerin, die auch im Ausland große Ausstellungen hatte, was für eine Frau schon ziemlich beeindruckend war.

Sehr früh stellte sie fest, dass sie mit dem politischen Regime so überhaupt nicht einverstanden war und wie die Frauen unserer Familie nun mal so sind, tat sie das nicht gerade heimlich oder leise. Eine Zeit lang schützte sie der Umstand, dass sie mit einem hohen Offizier verheiratet war (nur eine ihrer sieben Ehen), den hatte sie aber längst verlassen, genau wegen seiner politischen Gesinnung. Auf Dauer wurde das dann aber doch etwas gefährlich und so beschlossen die Amerikaner 1943, sie auszufliegen und in Sicherheit zu bringen. Ihr gesamtes Hab und Gut wurde in einem Eisenbahnwaggon eingelagert und verplompt und stand bis Kriegsende auf einem Abstellgleis unter amerikanischer Aufsicht (wo sie übrigens nach Kriegsende alles in genau dem Zustand wieder abholen konnte), sie selber und meine Mutter (damals 3 Jahre alt), wurden auf den Kranzberg gebracht. Landschaftlich ziemlich hübsch, ansonsten mehr als abgelegen und den Großteil des Jahres war sie auf sich alleine gestellt, besonders im Winter, denn da war der Kranzberg zugeschneit und nicht mehr zu erreichen. Immerhin sicher war es dort! (Im ersten Winter sah meine Großmutter sich übrigens gezwungen, entweder zu erfrieren, oder alleine einen Baum zu fällen. Sie entschied sich für, bzw. gegen den Baum, denn der war ja anschließend tot, weil gefällt.)

Alles, was irgendwie mit Nachschub zu tun hatte, war eine ziemlich schwierige Angelegenheit und so war es für meine Großmutter ein riesiges Geschenk, als sie aus Schweden echte Fuchshaarpinsel bekam, als Künstlerin brauchte sie Material, nur die Beschaffung war inzwischen praktisch unmöglich geworden, noch dazu auf dem Kranzberg.

Leider hatte sie nicht damit gerechnet, dass meine Mutter ihr etwas Gutes tun wollte, die sah nämlich die Pinsel (derweil meine Großmutter mal wieder im Wald an ihrem Baum säbelte) und fand es unmöglich, dass da keine zwei Haare die gleiche Länge hätten und kurzerhand schnitt sie die Pinselhaare auf eine Länge. Als meine Großmutter aus dem Wald zurück kam, zeigte meine Mutter ihr gleich stolz ihr Werk und wartete auf Lob.

Innerlich weinte meine Großmutter, da sie aber wußte, dass meine Mutter es gut gemeint hatte, lobte sie sie trotzdem, aber es muß ihr sehr, sehr schwer gefallen sein.

Ich hatte viele Jahre später auch was davon, denn auch ich wollte meiner Mutter etwas Gutes tun und in Ermangelung von Pinseln nahm ich mir etwas Größeres vor: Den Perserteppich in unserem Wohnzimmer!

Das vordere Wohnzimmer war etwa 4x5 Meter und der Teppich raumfüllend, also richtig teuer und er hatte Teppichfransen. Teppichfransen mußten was Tolles sein, denn die wurden regelmäßig mit einem Stahlkamm geradegekämmt. Störend fand ich allerdings, dass die irgendwie alle unegal lang waren und das wollte ich für meine Mutter jetzt in Ordnung bringen.

Vielleicht kann man sich vorstellen, was dabei rauskommt, wenn ein Kind mit einer Nagelschere(!) über mehrere Meter versucht, freihändig zu schnibbeln, kurz: Es war krumm! Naja, macht ja nix, waren ja genug Fransen dran, also nochmal von vorne. Da das leider auch nicht wirklich besser war, ich aber so schnell nicht aufgeben wollte, waren am Ende überhaupt keine Fransen mehr dran, das aber wenigstens halbwegs gleichmäßig und stolz präsentierte ich mein Werk meiner Mutter.

Ich vermute, nur ihrer eigene Geschichte mit den Fuchshaarpinseln hat mir das Leben gerettet und es hat eine ganze Weile gedauert, bis endlich ein Teppichknüpfer gefunden war, der wochenlang bei uns saß und neue Fransen anknüpfte, das Teil war nämlich so groß, dass es unmöglich gewesen wäre, das weg zu geben.

Erst viele Jahre später verstand ich, was ich da überhaupt angerichtet hatte, und was das wohl gekostet haben mochte und vor allem, welche Überwindung es meine Mutter gekostet haben mußte, sich auch noch bei mir zu bedanken.
Wo ich es doch nur gut gemeint hatte ...

Bescheidene Wünsche

So größenwahnsinnig ich ja wohl schon von Geburt an war, so bescheiden waren die Wünsche meiner Frau Mama.

Irgendwas war bei mir ja schief gegangen, denn ich war kein kleines Mädchen, ich war eindeutig ein kleiner Junge! (meine Schwester bot aber ausreichend Ersatz, sie liebe rosa Seidenschleifchen in den Haaren, spielte mit Puppen und machte ständig nur langweiligen Mädchenkram)

Derweil meine Schwester also stundenlang andächtig meiner Großmutter beim Nähen von Puppenkleidchen zuguckte, turnte ich auf Bäumen herum, trieb mich auf Baustellen herum oder prügelte mich mit den Jungs. Wenn ich abends heimkam, wurde ich an der Haustür an meinen Klamotten hochgehoben und so wie ich war, in die Badewanne gestellt. Dort wurden dann erst mal meine Taschen ausgeleert (nicht selten gab es lebendige Fundstücke wie Frösche oder Schnecken) und dann der gröbste Dreck abgeklopft. In ganz schlimmen Fällen (nicht unbedingt selten) wurde ich direkt mit Klamotten abgeduscht und danach wurden dann die üblichen Wunden versorgt und desinfiziert.

Meine Mutter hatte mit Mitte dreißig nur einen wirklich großen Wunsch: Sie wollte einmal ihre jüngste Tochter mit heilen Knien sehen!
PHA! Mädchenkram!

Irgendwann hatte sie dann aber wohl genug davon und schleppte mich in Münsters größtes Lederfachgeschäft (Harenberg, richtig groß, richtig teuer) und stellte mich dort einer etwas verblüfften Verkäuferin mitten auf die Ladentheke und erklärte wutschnaubend: "Für dieses Wesen möchte ich bitte eine krachtenlederne Hose, die über die Knie geht und das so schnell wie möglich, egal, was das kostet!"

Danach waren meine Knie nicht mehr ganz so häufig blutig, aber ein Mädchen wurde trotzdem erst sehr viel später aus mir.

Unheilvolle Stille

Ich war ein besonders interessiertes und ebenso motiviertes Kind und meine Mutter mit Mitte dreißig komplett grau (Sie behauptet natürlich, es habe da einen Zusammenhang gegeben, das streite ich aber entschieden ab!).

Solange meine Mutter mich hören und/oder sehen konnte, war fast alles in Ordnung, aber wehe, sie hörte oder sah länger als 10 Minuten nichts von mir, sofort witterte sie Unheil (womit sie so ziemlich immer genau richtig lag).

Irgendwann fing das an, mir etwas auf die Nerven zu gehen und echt lästig zu werden, es musste also ein gescheite Strategie her.

Meine Großmutter erzählte mir immer was vom lieben Gott, las mir stundenlang aus der Bibel vor und schleppte mich in die Kirche, wo ich immer andächtig still sein sollte. Zu irgendwas musste das doch gut sein und schließlich zahlte sich das doch noch aus: Ich richtete mich häuslich im vorderen Wohnzimmer hinter der einen Couch ein (sie stand quer vor einer Ecke, dahinter war also etwas Platz) und wartete. Still natürlich.

Ein paar Minuten später tauchte natürlich meine Mutter auf, der diese Stille unheilvoll laut dröhnte und fragte, was ich da denn bitte mache?

"Stör mich bitte nicht, ich unterhalte mich mit dem lieben Gott!" erklärte ich ihr und tief beeindruckt ging sie wieder.

Leider hat das nicht sehr lange gehalten, denn beim nächsten Hausputz fand sie heraus, was für hübsche Handabdrücke ich mit dem grünen Pril an die Tapete hinter dem Sofa machen konnte ...

Ein ganz besonderer Name

Als ich ... hm ... keine Ahnung, wie alt ich war ... also jedenfalls noch ziemlich klein ... bekam ich von meiner Tante einen Teddy. Es muß Weihnachten gewesen sein, denn am gleichen Tag bekam auch meine Schwester von besagter Tante einen Teddy.

Meine Mutter erklärte mir, dass ich mir einen Namen für diesen Teddy ausdenken müsse und diese Entscheidung wohlüberlegt sein müsse, denn Teddy werde diesen Namen für immer tragen, es sollte also ein ganz besonderer Name sein.

Meine Schwester war schnell fertig mit der Aufgabe und fortan hieß ihr Teddy "Susi", derweil ich für den Rest des Tages verschwunden und wohl angenehm still war. Meine Mutter erzählt noch heute, dass ich stundenlang mit hochkonzentriertem Gesich vor meinem Teddy saß und ganz offensichtlich schwer zu denken hatte und erst zum Abendessen wieder auftauchte und stolz verkündete, ich habe jetzt den passenden Namen für meinen Teddy:

Da ich von meiner Mutter frühzeitig darüber informiert worden war, dass ich etwas ganz Besonderes bin, gab es letztlich überhaupt nur einen einzigen Namen, der für meinen Teddy in Frage kam, der ja unzweifelhaft auch etwas ganz Besonders war: Stefanie!

Mein Teddy hieß also Stefanie und wir waren ein prima Gespann, nur der Teddy etwas sehr still, nachdem ich ihm ein Vollbad verpaßt hatte: Eine halbe Trommel Waschpulver auf ein Handwaschbecken voll Wasser. Stefanie konnte danach zwar nicht mehr blöken, wenn man ihr auf den Bauch drückte, aber sie roch noch jahrelang aprilfrisch.