Skip to content

Immer wieder sonntags ...

Sonntage waren in meiner frühen Kindheit schwierig.

Etwas erträglicher wurden sie nur, wenn ich mich daneben benommen hatte, was im ersten Moment mal unlogisch klingt.

Das Schwierige an Sonntagen waren nicht so sehr die Kirchgänge, das kannte ich schon von während der Woche und irgendwie hatte ich mich daran auch gewöhnt, das Schwierige waren Seidenschleifchen!

Sontags wurde ich "fein gemacht" und dazu wurde ich aus meiner (inzwischen heiß geliebten) Lederhose geschält und in ein Kleidchen gesteckt und dann begann das Haar-Drama: Ich hatte sehr lange Haare und das strikte Verbot, die abzuschneiden (an irgendwas sollte man erkennen können, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen war), was mich nicht daran hinderte, es immer wieder zu versuchen, denn lange Haare waren lästig. Nachdem meine Haare also erst mal eine halbe Ewigkeit gebürstet wurden, wurden sie anschließend zu Zöpfen geflochten (bis dahin entsprach das noch dem Wochentags-Prozedere), aber dann kamen die Seidenschleifchen. Es gab Seidenschleifchen in allen Farben, passend zu allen Kleidchen und immer waren sie frisch gebügelt. Meine Großmutter war erklärte Tee-Trinkerin und immer stand ein hochglanzpolierter Kessel auf dem Herd. Über diesen heißen Kessel wurden die Seidenschleifchen gezogen, was genauso gut war wie bügeln und dann wurden die gebügelten Schleifchen in meine Zöpfe gebunden und ab da sollte ich mich dann benehmen (ich vermute, damit war gemeint, dass ich mich wie ein Mädchen benehmen sollte, kam also nicht in Frage) und vor allem auf die doofen Schleifchen aufpassen.

Ich wollte keine Schleifchen, ich fand Schleifchen doof, lästig, störend, aber offensichtlich war das meine Mutter, wie auch meiner Großmutter, wichtig, denn warum sonst hätten sie sich soviel Arbeit damit gemacht? Also versuchte ich, auf meine Schleifchen aufzupassen, sie nicht zu verlieren, nicht zu verknittern und möglichst da zu lassen, wo sie waren. Kurz: Ich war praktisch vollständig handlungsunfähig!

Nur wenn ich mich danaben benommen hatte, wurde ich von der Schleifchen-Zuteilung ausgeschlossen und zur Strafe mußte ich sonntags in einem farbverkleckerten Hemdchen (meine Großmutter war Künstlerin und arbeitete nebem Metallen auch viel mit Farbe und ihre Hemden, aus denen längst die vielen Flecken nicht mehr rausgingen, waren für mich groß genug als Kittelchen)  und offenen Haaren auf die Straße gehen. Alle Leute sollten sehen, dass ich kein braves, hübsches Mädchen war.

Es war einfach toll!