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Erste Kontakte mit sozialen Rändern

Endlich war ich in der Schule und gleich gingen die Probleme los!

Während bis dahin mein soziales Umfeld ausgesprochen wohlgeordnet war, ich kam schließlich aus sehr, sehr gutem Hause, wurde das nun etwas gemischter.

Als "höhere Tochter" war ich selbstverständlich in der damals besten Privatklinik der Stadt zur Welt gekommen, um später im besten Kindergarten der Stadt unter ebenso strenger wie kluger und gütiger Aufsicht von Nonnen erste soziale Kontakte zu pflegen. Jetzt, in der Schule, war das schon etwas (wenn auch wirklich nur etwas) anders: Die Mehrzahl der Kinder kam zwar ebenfalls aus sehr guten Familien, aber es gab auch ein paar wenige Ausnahmen. Eine davon war Silvia Koch!

Silvia stammte eindeutig aus asozialen Verhältnissen: Der arbeitslose Vater war annähernd ständig betrunken, der jugendliche Bruder mindestens mal halbkriminell (die Polizei war häufiger, wenn auch nicht gern gesehener Gast bei Familie Koch), die Mutter rannte mittags noch halbnackt in schwarzen Strapsen und BH durch eine Wohnung, die sich nur mit dem Begriff "Saustall" halbwegs zutreffend beschreiben läßt. Zwischen all den wohlerzogenen Mädchen in weißen Kniestrümpfen, sauber gekämmten Pferdeschwänzen und frisch gebügelten Spitzenblüschen war Silvia mit ihren abgebrochenen Schneidezähnen, den schmuddeligen Anziehsachen und irgendwie nie richtig sauber, ein absoluter Außenseiter. Sie hatte zwar eine Kodderschnautze und alle hatten Angst vor ihr, weil Gewalt das einzige Ausdrucksmittel war, das sie kannte und beherrschte, ganz innen drin hatte sie aber den glühenden Wunsch, dazu zu gehören. Natürlich völlig hoffnungslos, denn die Seidenblüschen würden sie nie mitspielen lassen.

Mit mir hätten die zwar gerne gespielt, nur fand ich das alles langweilig und am liebsten spielte ich mit den Jungs Fußball (ich war das einzige Mädchen, dass bei den Jungs mitspielen durfte!). Da war Silvia schon viel interessanter und so freundete ich mich mit ihr an.

Das beunruhigte dann allerdings meine Lehrer, was mir reichlich egal war und so wurde ich eines Tages zum Rektor zitiert. Auf dem Weg in sein Büro ging ich schnell im Kopf meine aktuellen Missetaten durch, fand auf die Schnelle aber nichts, was eine Vorladung beim Rektor gerechtfertigt hätte, also sparte ich mir jedes Schuldbewußtsein und wartete erst mal ab.

Der Rektor hielt mir einen langen und genauso ernsten Vortrag über soziale Unterschiede, der schließlich mit der klaren Feststellung endete, dass Silvia Koch kein geeigneter Umgang für mich sei.

Aha?

Da ich die Hälfte von dem, was der Rektor mir erzählt hatte, sowieso nicht verstanden hatte, ging ich nach der Schule ausnahmsweise mal direkt nach Hause (üblicherweise war mit mir erst bei Einbruch der Dunkelheit zu rechnen und "Mittagessen" war eine Veranstaltung die ich mehr vom Hörensagen als aus der Praxis kannte) und erzählte das alles meiner Mutter, die am nächsten Morgen postwendend mit mir an der Hand beim Rektor erschien.

Meine Mutter ließ sich vom Rektor das Gespräch nochmal wiedergeben, holte ziemlich tief Luft und sagte zum Rektor: "Meine Tochter hat Ihnen dazu etwas zu sagen. Gestern ist sie nicht dazu gekommen, darum bin ich heute dabei!" und blickte mich aufmunternd und irgendwie auch erwartungsvoll an.

Das mit dem "tief Luft holen" fand ich irgendwie beeindruckend, also holte ich auch tief Luft und erklärte: "Ich suche mir meine Freunde alleine aus!"

Meine Mutter nickte einen kurzen Gruß in Richtung Rektor, nahm meine Hand und wir gingen. Erst viel später habe ich erfahren, dass sie dem Rektor noch versprochen hatte, das gerne mit dem Schulrat zu besprechen, falls mein Rektor mit meiner Entscheidung Probleme haben sollte.

Bis heute hat sich an meiner Haltung übrigens nichts geändert und ich reagiere hochgradig allergisch, wenn jemand versucht, mir vorzuschreiben, mit wem ich befreundet zu sein habe.

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