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Diplomierte Kellerassel

Tja, da war ich also nun als frischgebackener Einkaufsleiter im oberschwäbischen Weingarten im Mövenpick Hotel Weingarten mit angrenzendem Kultur- und Kongresszentrum Weingarten (also Stadthalle und die war so groß, wie sich das anhörte).

Hinsichtlich der Veranstaltungsgrößen und entsprechender Lagerhaltung musste ich erst mal meinen Gabelstaplerführerschein machen, als einzige Frau unter lauter Oberschwaben, noch dazu an einem Samstag und ich sprach Deutsch, die anderen Oberschwäbisch. "Hanoi, wo gascht nah?" war nicht die Frage nach einer chinesischen Inselgruppe, sondern die Frage, wo ich hingehe und richtig blöd war, dass ich im Rausgehen aus jedem Geschäft mit "Adele" verabschiedet wurde, dabei heiße ich überhaupt nicht Adele, sondern Stefanie. Seltsame Leute, sehr seltsam. Aber ich bekam einen elektrischen Gabelstapler und lernte, Europlatten unfallfrei einzuparken, notfalls auch rückwärts (was verboten ist!).

Mein schweizer Direktor meinte allerdings, damit sei meine Weiterbildung nicht fertig, neben palettenweise Meersburger Bengel (ein schwäbisches Produkt, angeblich ein Rotwein, den man vermutlich nur ohne Vergiftungserscheinungen trinken kann, wenn man Eingeborener ist), sollte ich die nötige Ehrfurcht vor dem anderen Rotweinkeller haben, in dem Raritäten wie Chateau Petrus (Jahrgang vergessen) in Regalen lagen, die mit schmiedeeisernen Türen und unzähligen Vorhängeschlössern gesichert waren, eine einzelne Flasche Petrus kostete schon damals 750 DM, netto Einkaufspreis.

Ich sollte Chf de Cave werden (diplomierte Kellerassel also). Abgesehen davon, dass das sündhaft teuer war (zahlte aber die Firma), ging das über Monate, war mit diversen Weinreisen verbunden und überhaupt machte ich mir nichts aus Alkohol. Ob ich nicht einfach weiter ahnungslos bleiben und ihm die Schlüssel für die Schätze aushändigen könnte? Wäre doch irgendwie viel bequemer für alle Beteiligten. NEIN!

Na super, mit dem Thema Wein hatte man mich schon in der Ausbildung echt genervt, das gehörte aber zur Unternehmenskultur und man leistete sich ja auch die Mövenpick Kellereien, die zumindest damals eine sehr guten Ruf hatten.

Abgesehen von den Weinreisen nach Frankreich, Italien, Spanien und in die Schweiz, gab es "Lerneinheiten", die jeweils in Stuttgart stattfanden, womit ich wieder mit der Sprachbarriere konfrontiert wurde, die sprachen nämlich schwäbisch. Menno!

Die Prüfung war aber lustig, ich konnte die Prüfungskommission nämlich davon überzeugen, dass zu frischem Spargel der einzig passende Wein ein Sauternes war (an sich ein Dessertwein und neben pappsüß und dick wie Honig sündhaft teuer) und nach über einem Jahr ständigen Weingeschlabbers habe ich auf meine Prüfung mit einem Glas Bier angestoßen (tatsächlich war es sogar ein Hefeweizen, ich war ja immer noch bei den Oberschwaben).

Viel ist davon wohl nicht hängen geblieben, aber ich könnte wahrscheinlich immer noch jeden Wein einkaufen (war ja mein Job) und auch verkaufen und so ziemlich jedem Durchschnitts-Gast jeden Wein schmackhaft machen (alles eine Frage der Temperatur, über die man jeden Wein manipulieren kann). Nur um echte Weinkenner mache ich immer noch einen möglichst großen Bogen, das Gequatsche von Microklima, Bodenbeschaffenheit und Dingen wie einer ganz feinen Petroleumnote geht mir immer noch unsäglich auf die Nerven.

Die Sache mit dem Vogelsand

An sich hatte ich ja nur für sechs Wochen als Eröffnungsstütze in Weingarten bleiben sollen, machte meinen Job aber wohl nicht ganz schlecht und so bot man mir den Job des Einkaufsleiters an und so blieb ich noch etwas.

Es gab allerdings nicht nur das Hotel, sondern auch die angrenzende Stadthalle und die Dimensionen, in denen ich Ware beschaffen musste, waren deutlich gestiegen. Die Führungstruppe bestand ziemlich genau zur Hälfte aus Leuten aus dem Mövenpick Hotel Münster und zur Hälfte aus Leuten aus dem frisch verkaufen Mövenpick Hotel Trier. Soweit alles in Ordnung und wir hatten neben viel Arbeit auch viel Spaß, nur der Viezedirektor (Trier) lag mir echt quer, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wäre er nicht außerdem Bankettleiter gewesen (womit ich zwangsläufig viel mit ihm zu tun hatte) und das der Mann war, über den mein Direktor ja behauptet hatte, dass er der beste Einkaufsleiter sei, den es jemals im Unternehmen gegeben hatte und ich eine Menge von ihm lernen könne. Ok, ok, er war wirklich gut, aber er wusste es auch und was mich richtig ärgerte, war die Tatsache, dass er regelmäßig alles mit meinem Assistenten verhandelte (aus Trier, war ja irgendwie klar) und mich ignorierte. MICH!

Wahlweise forderte er lässig Sachen direkt bei mir an, von denen er wusste, dass es eines mittleren Wunders bedurfte, um die in der Menge, Ausführung oder dem Zeitraum zu beschaffen. Ich konnte den Kerl nicht ausstehen!

Das wurde nicht besser, als er eine Lageranforderung über 50 Kilo Vogelsand schrieb, führte aber dazu, dass ich ernsthaft an seinem Geisteszustand zweifelte. Was zum Donner wollte der Mann mit 50 Kilo Vogelsand und wo bitte sollte ich die bekommen? Weingarten beginnt auf der Rückseite des Ortsausgangsschildes von Ravensburg, ist tiefste Provinz und außer einer weltberühmten Basilika, dem neu eröffneten Mövenpick und echt viel Gegend gab es da nichts, dafür hingen überall Plakate "Was ist das Beste an Weingarten? KEIN McDonalds!" und das meinten die total ernst. Provinz halt, noch dazu Oberschwäbische!

Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass der Mann ein 7-Gang-Menü für 800 Menschen verkauft hatte und der Veranstalter sich nicht an das Vorurteil des geizigen Schwabens gehalten hatte. Üblicherweise gibt es bei sowas fünf Menüvorschläge, bei dem man ziemlich sicher davon ausgehen kann, dass der günstigste und der teuerste nicht genommen werden und so hatten er und der Küchenchef (Münster) beim teuersten Vorschlag beim Dessert keine Lust mehr und boten als Dessert "Wüstensturm" an, ohne eine Ahnung zu haben, was das sein könnte, kostete aber 15 DM. Dummerweise nahm der Veranstalter den teuersten Vorschlag, also musste man klären, was denn jetzt "Wüstensturm" sein könnte: Ein großer Teller im Dekor "Indian Tree, Fahne light" (die ich natürlich auch in ausreichender Menge zu besorgen hatte), auf den Vogelsand in größerer Menge gestreut wurde. In den Sand wurden Mini-Kakteen gesetzt (am Teller durch unseren Blumenlieferanten mit einer Heißklebepistole festgeklebt), dazu ein paar Lametta-Palmen (Deko für Eisbecher) und der Rest war dann ein Glasschälchen mit einer Kugel Vanilleeis mit Roter Grütze.

Vogelsand, ja? Der Mann hatte doch echt Probleme, ach nee, die hatte ich ja jetzt. Na dann wollten wir doch mal sehen, wer zuletzt lacht, also fuhr ich zum nächsten Baustoffgroßhändler (nein, einfache Baumärkte gab es da nicht) und kaufte einen 50-Kilo-Sack feinen, weißen Quarzsand, den ich mitten in seinem Büro abstellen ließ (von seinem Kumpel, bzw. meinem Assistenten).

Der Mann, den ich nicht mochte und der mir jegliche Anerkennung hartnäckig verweigerte, zeigte sich zum ersten Mal beeindruckt, mein weißer Quarzsand war nämlich nicht nur sehr viel günstiger als sein doofer Vogelsand, er sah auch deutlich besser aus als sein grobkörniger Vogelsand.

Als ich dann nach der Veranstaltung (die übrigens ein riesiger Erfolg war und damit der Anfang sehr vieler, sehr großer Veranstaltungen), den Sand wieder einsammeln ließ und zum fünffachen des Preises an die Stadt Weingarten als Sand für Standascher verkaufte, hatte ich gewonnen: Er ließ mich dreimal langsam seinen Namen sagen (der ein echter Zungenbrecher war) und erklärte mir dann, sein Name sei Günther und ich echt genial.

Geht doch und wir haben noch so manche Riesen-Veranstaltung gemeinsam gemeistert.

Als er dann nach Kassel ging, um dort das Schlosshotel Wilhelmshöhe als Direktor zu übernehmen, rief er nach sechs Wochen meinen Direktor an mit den Worten: "Ich komme hier nicht klar, ich brauche Kruse!", was mir in der Folge fast zehn Jahre in selbigem Hotel einbrachte und enge Beziehungen zur Spielbank Kassel, die bei uns Untermieter war und mit denen ich ähnliche Geschäfte machte, wie mit der Stadt Weingarten g

Mein Auszug von Zuhause

Mir gefiel es Zuhause im Hotel Mama und ich sah wenig Veranlassung, da weg zu gehen und so war ich bereits 24, als ich endlich den Absprung machte, das dann aber ziemlich abrupt.

An meinem einzigen freien Tag in der Woche rief mich in aller Hergottsfrühe ein Kollege aus dem Hotel an, der einige Wochen bei mir in Münster zur Einarbeitung gewesen war, um anschließend als Trainee ins neu zu eröffnende Mövenpick Hotel Weingarten zu gehen und fragte mich, ob ich kurzfristig Interesse habe, als Voreröffnungsstütze für sechs Wochen nach Weingarten zu gehen. Hm, ja, hatte ich.

Zehn Minuten später rief mich mein Direktor an, der Direktor von Weingarten habe angefragt, ob er mich für sechs Wochen als Eröffnungsspitze haben könne. Das sei eine Ehre, weil nur wirklich gute Leute als Eröffnungsstütze genommen werden und außerdem sei da der beste Einkäufer, den das Unternehmen jemals gehabt hatte und von dem könne ich jede Menge lernen. Ich tat ausreichend überrascht und sagte zu.

Weitere fünf Minuten später rief mich der Direktor von Weingarten an und fragte mich, wo ich denn sei, ob ich schon am Bahnhof wäre (sollte ein Scherz sein). Ich sollte bitte mitteilen, wann mein Zug eintrifft, man würde mich dann am Bahnhof abholen.

Es war 08:30 Uhr und ich hatte auf der Bettkante schon mit zwei Direktoren telefoniert, also beschloss ich, dass ich mir jetzt doch mal etwas anziehen sollte.

Meine Mutter hat noch heute den Zettel, den sie mittags an der Tür fand:

"Alles Gute zum Geburtstag, bin für sechs Wochen in Weingarten (Bodensee), melde mich. Hab Dich lieb!"

Meine Mutter ahnte es sofort, ich erst viel später: Das war mein Auszug von Zuhause und ist jetzt 31 Jahre her. Zeit, wieder nach Hause zu kommen!

Mit Sondergenehmigung zum Abi

Schule machte immer noch Spaß, nur fehlte mir zunehmend die Zeit dafür, was daran lag, dass ich herausgefunden hatte, dass es sowas wie ein Berufsleben gab, wo man auch viel Spaß haben konnte und dafür sogar noch Geld bekam.

Durch phantasievolle Verkettung mehrerer Verträge über Aushilfsjobs, hatte ich durch das Mövenpick-Hotel Münster ein durchschnittliches, monatliches Einkommen von deutlich über 1.000 DM und turnte fröhlich durch sechs verschiedene Abteilungen als Aushilfe. Nicht schlecht als Taschengeld, noch dazu bekam ich ja von Zuhause auch noch ein Taschengeld, wobei ich mich immer fragte, wozu das gut sein sollte, wurden doch alle meine Kosten -einschließlich Auto, Benzin, Steuer, Versicherung und was man sonst an Autokosten hat- von meiner Mutter getragen.

Wenn meine Lehrer mich wirklich mal dringend sehen wollten, kamen sie ins Mövenpick und informierten mich rechtzeitig über anstehende schriftliche Prüfungen oder übergaben mir die Themen für ein Referat, das ich zu halten hatte, zu denen ich auch immer pünktlich erschien.

Alles in allem eine gelungene Vereinbarung, die direkt vor dem Abitur knallhart schief ging:

Kurz vor Weihnachten hatte ich einen schweren Verkehrsunfall (natürlich auf dem Weg zum Mövenpick) und lag ziemlich lange auf der Intensivstation wegen schwerer Kopfverletzungen, an denen zu sterben ich mich hartnäckig weigerte.

Kaum war ich endlich von der Intensivstation, besuchte mich mein Konrektor im Krankenhaus, um mir meine weiteren Alternativen aufzuzeigen und um eine Entscheidung zu bitten. Um einen Kurs fürs Abi angerechnet zu bekommen, musste man eine bestimmte Anzahl der gegebenen(!!!) Stunden anwesend gewesen sein, waren das weniger als 75%, war eine Prüfung fällig, ab nur 50% wurde der Kurs nicht angerechnet. Während ich im Krankenhaus rumgetrödelt hatte, hatte ich die Vorklausuren verpasst und lag in allen Kursen bei deutlich unter 50% und hatte damit keine Zulassung zum Abitur. Blöd irgendwie!

Mein Konrektor erklärte mir, dass es meinetwegen eine Lehrerkonferenz mit anschließender Anfrage beim Kultusminister gegeben hatte und ich konnte mir jetzt aussuchen, ob ich ein Jahr später mein Abi machen wollte, oder mit Sondergenehmigung vom Kultusminister dieses Jahr, dann aber in jedem Fach eine Prüfung ablegen musste plus Nachschreiben der Vorklausuren.

Zeit ist Geld, also entschied ich mich für dieses Jahr und als ich dann endlich wieder in der Schule war, bekam ich einen Plan, wann wo welche Prüfung zu absolvieren war. Da das pro Woche bis zu fünf Prüfungen waren, hielt ich mich nicht weiter mit Lernen auf (war ja sowieso noch nie mein Ding gewesen) und ging am Ende nur noch mit der Frage "Mündlich oder schriftlich und welches Fach?" in meine Prüfungen.

Verdient hatte ich das sicher nicht, aber ich machte mein Abitur dann doch in dem Jahr, wenn auch nicht mit den Noten, die man von mir gewöhnt war und ganz ehrlich, mich hat nie jemand gefragt, mit welcher Note ich mein Abi gemacht hatte, gefragt wurde nur, ob ich das Ding hatte und das hatte ich, Dank sehr freundlicher Lehrer.

Der Deal gegen Langeweile in der Schule

An sich ging ich ja gerne zur Schule, aber streckenweise Langeweile führten dazu, dass ich da zunehmend seltener hin ging (obwohl ich ja sogar inzwischen einen gesicherten Parkplatz hatte).

Lernen -speziell auswendig lernen- war noch nie mein Ding gewesen, denn entweder hatte ich etwas verstanden, dann musste ich nicht mehr lernen, oder ich hatte es nicht verstanden, dann nutze mir auch (auswendig)lernen nichts und zum Glück verstand ich eine ganze Menge, was Schule teilweise ebenso langweilig wie frustrierend machte:

Keine Ahnung, was meine Lehrer da falsch verstanden hatten, aber es nutze ziemlich wenig, sich zu melden, am liebsten stellten Lehrer komische Fragen, um dann knallhart von den Schülern eine Antwort dazu zu verlangen, die sich ausgerechnet nicht gemeldet hatten, was ich auf Dauer echt nervig fand. Wenn Aufpassen ja doch nichts brachte, konnte ich mich genauso gut mit was anderem beschäftigen und so rutschte ich in einem Halbjahr von einer 1+ in Deutsch auf eine glatte 4 und wurde beim Konrektor vorgeladen (wir hatten eine Rektorin, die hatte aber nichts zu melden, die Autorität war eindeutig der Konrektor)

Nachdem wir schnell geklärt hatten, woran es lag, trafen wir eine Vereinbarung:

Ab sofort musste ich mich nicht mehr melden und bekam trotzdem meine Eins, wenn sich aber auf eine Frage so überhaupt niemand mit der richtigen Antwort fand, wurde ich angesprochen und hatte die richtige Antwort zu geben.

Hat prima funktioniert, außer in Mathe, da hatte ich nämlich echt keine Ahnung und lebte vom Vorurteil meines Lehrers, der absolut davon überzeugt war, dass ich alles konnte und einfach nur zu faul war. Meine Begeisterung für Zahlen entwickelte sich erst viel später, ist mir aber bis heute geblieben, zusammen mit der Überzeugung: "Zahlen sagen mehr als tausend Worte!".

Gefährdeter Schulabschluss durch Parkplatzprobleme

Nach ereignisreichen vier Jahren auf der Grundschule begann mal wieder "Der Ernst des Leben", diesmal in Form des Besuchs des Gymnasiums.

Da ich Mädchen immer noch doof fand, versprach der Besuch ausgerechnet eines Mädchen-Gymnasiums, echt anstrengend zu werden, was aber durch die Qualität des Lehrerkollegiums mehr als ausgeglichen wurde: Eine sehr gesunde Mischung aus überwiegend Doktoren und Professoren, deren geistige Verknöcherung durch eine gesunde Anzahl sehr junger, motivierter und teilweise echt alternativer Lehrer erfolgreich verhindert wurde, kurz: Ich ging da wirklich gerne hin.

Bis zur Oberstufe war das soweit unproblematisch, dann begannen Parkplatzprobleme meinen weiteren schulischen Werdegang ernsthaft zu gefährden, es gab nämlich keine, zumindest 3x im Jahr, wenn Kirmes war (in Münster heißt das "Send") und der Hindenburgplatz sich von einem riesigen (kostenlosen!) Parkplatz in eine ebenso riesige Parkverbotszone verwandelte.

Irgendwann fiel einem meiner Lehrer auf, dass die Dichte meiner Anwesenheit sich immer dann stark reduzierte, wenn Send war und so fragte er mich, ob es da einen Zusammenhang gäbe. Und ob es den gab!

Ich erklärte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müssen, dass ich da vielleicht als Schießbudenfigur mein Taschengeld aufbessern würde, es lag schlicht daran, dass ich keinen Parkplatz finden könne und an solchen Tagen die Entscheidung "Rechts geht's in die Schule, links in die Stadt", regelmäßig mit "links" ausging, also mehr aus höherer Gewalt denn aus Desinteresse.

Gottlob war es mein Konrektor, der mich da angesprochen hatte und so erhielt ich umgehend einen Schlüssel für das Tor zum Lehrerparkplatz und eine Fußnote in der Geschichte der Schule, ich war und bliebt bis zur Schließung des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Münster die einzige Schülerin, der dieses Privileg zuteilwurde.

Und bevor der geneigte Leser komische Ideen hat: Ich hatte mit der Schließung der Schule wirklich nichts zu tun, zu der Zeit war ich nicht mal mehr in Münster sondern 800 km weit entfernt am Bodensee!

Strategische Umwege auf dem ersten Bildungsweg

Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich aus einer Mischung aus Langeweile und Ahnungslosigkeit Abitur gemacht, ich wusste nämlich nach der zehnten Klasse nicht, was ich denn wohl mal würde weden wollen (tatsächlich hatte sich das nach der dreizehnten Klasse nicht geändert, aber das wusste ich ja noch nicht), also blieb ich halt weiter auf der Schule, an die ich mich inzwischen leidlich gewöhnt hatte.

In NRW waren damals alle  Fächer in vier Gruppen eingeteilt und mit den vier Abiturfächern mussten drei davon abgedeckt werden. Kein Problem: Mathe, Deutsch, Englisch und weil ich ja auch etwas Spaß haben wollte, wählte ich Pädagogik dazu.

Deutsch-Leistungskurs habe ich genau eine Doppelstunde ausgehalten, danach war ich satt: Da saßen alle, aber wirklich alle "Müslis", der halbe Raum war gefüllt mit Negativbeispielen der Folge antiautoritärer Erziehung, jede Dritte war in einen lila gefärbten Schal gewickelt, es stank nach Patschuli und mein "Lieblings-Müsli" hatte mich schon an der Tür begrüßt mit den Worten "Ey Du, das finde ich wirklich gut, dass Du auch hier bist, das gibt mir ein wirklich gutes Gefühl, dass wir die negativen Stimmungen zwischen uns in Ruhe ausdiskutieren können." und die deutsche Edda im Original zu lesen, war auch nicht wirklich spannend (mir reichte schon, nebenan Shakespeares Gedichte in Alt-Englisch lesen zu müssen).

Nach dieser grauenhaften Doppelstunde (ich hatte ständig Angst, dass die sich alle auf den Boden setzen, Räucherstäbchen anzünden und bei einer Kanne Tee indische Harmonieglöckchen läuten würden), ging ich also zu meinem Lehrer, Herrn Duwenig, und erklärte ihm, dass ich das auf keinen Fall drei Jahre aushalten werde und bitte den Kurs wechseln möchte. Mit einem tiefen Seufzen und Blick in die Runde sprach er mir sein Verständnis und seine Zustimmung aus, sofern ich einen Kollegen fände, der diesem Wechsel zustimme und mich in seinen Kurs aufnähme.

Kollegen zu finden, die mich jetzt noch in ihren Kurs aufnahmen war unproblematisch, problematisch war das Kursraster. Einfach nur den Leistungskurs zu wechseln hätte dazu geführt, dass ich in fast allen Fächern die Lehrer gewechselt hätte, die ich mir doch sehr sorgfältig ausgesucht hatte.

Am Ende blieb nur eine Möglichkeit, meine Wunschlehrer zu erzwingen: Ich musste Philosophie und Religion als schriftliche Fächer wählen.

Wer also von meinem pseudo-tiefgründigem, ebenso langatmigem wie haltlosem Gequatsche genervt ist, möge sich bitte bei den Mülis der Oberstufe bedanken, intensive Beschäftigung mit Religion und Philosophie hinterlassen lebenslange Spuren, das bekommt man nie wieder weg!

Innere Werte

Machen wir uns nichts vor: Ich habe inzwischen ein Alter erreicht, in dem es nicht mehr sinnvoll ist, auf Figur und Aussehen zu setzen, da bleiben nur innere Werte und gottlob scheine ich welche zu haben, zumindest wurde das von Medizinern bestätigt:

Vor einiger Zeit lag ich im Krankenhaus und ein Weißkittel wollte sich ein Bild davon machen, wie weit wir es mit meinen Magengeschwüren gebracht hatten, bzw. mit deren Beseitigung.

Nach einer Weile fröhlichen Geplappers wurde der Weißkittel dann aber auffällig still und ich wollte mir schon Sorgen machen, da erklärte er mir fast andächtig, sowas schönes habe er noch nie gesehen.

Ähm ... ok, Weißkittel haben mitunter seltsame Ansichten, aber was war denn jetzt mit dem hier los?

Während ich mich unauffällig im Raum orientierte und den kürzesten Fluchtweg plante, frage er mich, ob ich vielleicht morgen nochmal wiederkommen könne, er wolle das unbedingt einem Kollegen zeigen.

Tja, ich lag im Krankenhaus, da waren meine dringenden Termine ziemlich übersichtlich und im Moment wollte ich so schnell wie möglich wieder in mein Zimmer, also sagte ich erst mal zu und versprach, am nächsten Tag wiederzukommen.

Ein paar kritische Blicke später auf meinen Bauch (siehe "Alter") entschied ich, da auch wirklich hin zu gehen, zumindest versprach das unterhaltsam zu werden, also waren mein Bauch und ich am nächsten Tag pünktlich wieder da. Der Weißkittel vom Vortag hatte tatsächlich einen Kollegen mitgebracht und flüsterte mir zu "Wir sagen nichts, mal sehen, wie er das findet!" War mir recht, ich hatte ja sowieso keine Ahnung, worum es überhaupt ging.

Kollege Weißkittel schaute, staunte und er erklärte mir, er habe noch nie eine so schöne Bauchspeicheldrüse gesehen, wie meine, noch nie ein so schlankes, wohlgeformtes Organ und auch der Weißkittel vom Vortag strahlte.

Die beiden Vögel waren ganz sicher nicht komplett richtig sortiert, aber immerhin weiß ich jetzt sicher, dass ich innere Werte habe. Irgendwie beruhigend ...

Smart Home und seine Grenzen

Ich bin bekennendes Technik-Spielkind! Alles, an dem ein Stecker dran ist, finde ich spannend und so war es kein Wunder, dass ich irgendwann bei Smart Home gelandet bin, wenn auch eher unbeabsichtigt:

Amazon schickte mir eine Einladung, Alexa noch vor dem offiziellen Verkaufsstart in Deutschland zu bestellen.

Keine Ahnung, was Alexa sein könnte, aber da war eindeutig ein Stecker dran und man brauchte Internet dafür, also her damit und eine Weile später kam dann das Päckchen. In der ersten Version war die Einrichtung noch etwas nervig, aber alles, was sich unter einer Tasse Kaffee einrichten lässt, ist erst mal unproblematisch, nur, was sollte/wollte ich jetzt damit?

Nach dem Studium einer vierstelligen Anzahl an Postings in diversen Foren war ich ein klein wenig schlauer: Alexa konnte Musik abspielen, war dabei klein, zierlich und ausreichend laut für mein Badezimmer :-)

Nachdem in meinem Bad diverse Kompaktanlagen ein vorzeitiges Ende wegen zu hoher Luftfeuchtigkeit erlitten hatten, wurde mir das auf Dauer doch etwas zu teuer und ich richtete mir in meinem lokalen Netzwerk einen NAS-Server ein, so dass ich jetzt nur noch eine WLAN-fähigen Lautsprecher im Bad brauchte und den ab und an zu ersetzen, würde auf jeden Fall auf Dauer günstiger sein. Nur für meine Schulter war das irgendwie ungut, weil der WLAN-Lautsprecher oben auf dem Badezimmerschrank stand, was für eine stabile WLAN-Verbindung gut war, die Fernbedienung reichte da aber nur hin, wenn ich mit dem Arm über Kopf darauf zielte.

Alexa war da ganz anders: Sie hörte (fast) auf's Wort, also wanderte die Badezimmer-Konstruktion in mein ganz persönliches Hardware-Museum und staubt dort seitdem leise vor sich hin.

Die Möglichkeiten von Alexa wuchsen ständig und nach und nach auch die Anzahl der Echo-Dots bei mir Zuhause. Alexa weckt mich inzwischen mit meiner Lieblingsmusik (natürlich versteht sie sich auch mit meinem NAS-Server bestes), informiert mich über das Wetter, aktuelle Staus auf meinem Weg zur Arbeit, liest mir mein Horoskop vor, verliest mir eine Liste der Dinge, die auf der Welt so passiert sind, während ich geschlafen habe, schaltet auf Zuruf mein Bügeleisen ein und kritzelt alles, was mir so einfällt von jedem Ort in meiner Wohnung auf meine Einkaufsliste, die ich dann ausdrucken kann, oder einfach beim Einkauf vom Handy ablesen kann, knipst Lampen und Lämpchen auf Zuruf ein und aus, liest mir Hörbücher vor oder schaukelt mich bei Bedarf mit Meersrauschen in den Schlaf (wahlweise mit oder ohne Mövengekreische), und weiß der Himmel was sonst noch alles.

Nur eines kann sie immer noch nicht und es sieht auch nicht so aus, als würde sie das demnächst können:

Alexa kann keinen Kaffee kochen, zumindest nicht mit einem Vollautomaten :-(

Zwar kann sie ihn an- oder ausschalten, nicht aber auf den passenden Knopf für Kaffee, Milchkaffee, Latte oder Espresso drücken und noch (!!!seufz!!!) bin ich nicht soweit, mir einen Vollautomaten zu kaufen, mit dem das möglich wäre.

Smart Home steckt eindeutig noch in den Kinderschuhen, aber immerhin ist es fast wasserdicht, zumindest überlebt es schon eine ganze Weile in meinem Bad.

Schußwaffengebrauch in früher Kindheit

Endlich weiß ich, woher ich seit frühster Kindheit den Unfug her habe: Von meinem Vater!

Meiner Schwester ist heute eingefallen, dass da mal eine Situation war, wo sie -eingehüllt in Mutters zartestes Neglige (natürlich ist sie ständig darüber gestolpert, weil doch etwas lang für sie) - mit einem alten Armee-Revolver Einbrecher verjagen wollte. Bei der Gelegenheit ist uns dann gemeinsam eingefallen, dass mein Vater mal diesen Revolver abgefeuert hat, das aber im Wohnzimmer und leider, leider noch eine Tränengaspatrone im Lauf steckte.

Die folgenden Wochen konnte man sich übrigens in keinem der Wohnzimmer aufhalten und es hat wirklich lange gedauert, bis man dort wieder atmen konnte. Bis meine Mutter aufhörte, nach Luft zu schnappen, hat noch etwas länger gedauert, aber das lag wohl mehr an ihrer Empörung als am Tränengas.

Irgendwie finde ich die Geschichte aber auch etwas traurig, denn ich wäre lieber selber Schuld an all dem Unfug meiner Kindheit

Früh übt sich, was kein Mädchen werden will

Weihnachten war eine schwierige Zeit. Schon immer!

Nicht genug damit, dass es regelmäßig eine Überdosis Familie gab (und damit leider eine Überdosis Aufmerksamkeit), es strapazierte meine Geduld regelmäßig über Gebühr. Wegen der ständig anwachsenden Anzahl von Geschenken, die irgendwo versteckt werden mussten, wurde mein Zuhause zu einer immer größeren Sperrzone, was immerhin den Vorteil hatte, dass ich ziemlich viel raus durfte, aber wann immer ich doch mal Zuhause war, hatte ich garantiert irgend einen Erwachsenen im Nacken, der ständig guckte, ob ich bloß nicht aus Versehen eines dieser hochgeheimen Verstecke finden würde (was völliger Blödsinn war, ich interessierte mich sowieso nicht für Geschenke und das aus gutem Grund!).

Heilig Abend war immer besonders schlimm, denn da zog sich meine Mutter mit dem Weihnachtsmann ins hintere Wohnzimmer zurück: Weihnachtsbaum schmücken! Die Beiden (also Mutter und der Weihnachtsmann) brachten meine kompletten Wirkungskreise durcheinander denn mal ganz abgesehen von Weihnachten, hatte ja auch ich meine Geheimverstecke und zwar ganzjährig, um die Weihnachtszeit aber echte Probleme, da dran zu kommen (außerdem bestand das Risiko, dass meine Mutter bei der Suche nach Verstecken versehentlich eines meiner Verstecke fand).

Eines Abends fand ich mich dann auch vor der verschlossenen Wohnzimmertür und quengelte, wie lange das denn noch dauern würde (ich hatte mal wieder einen Wecker zerlegt und wollte die belastenden Reste in meinem üblichen Versteck verschwinden lassen, Mülleimer schieden für sowas nämlich aus, die wurden eingehend untersucht, bevor sie das Haus verließen) und meine Mutter erklärte, sie und der Weihnachtsmann hätten noch hundert silberne und hundert goldene Lamettafäden aufzuhängen. Da ich wußte, dass bei uns Lametta einzeln aufgehängt wurde, brach ich kurzerhand mit einem Weinkrampf vor der Tür zusammen, was den Nachteil hatte, dass meine Mutter sofort die Tür öffnete und mich trösten wollte und ich keine Zeit mehr hatte, den frisch zerlegten Wecker verschwinden zu lassen.

Wenn dann der Baum endlich mal fertig war, gab es dann auch irgendwann die Bescherung, die aus meiner Sicht immer eine echte Bescherung war, denn nach wie vor hielt sich hartnäckig das Gerücht, ich sei ein Mädchen und entsprechend bekam ich immer Mädchenkram. Nur im zarten Alter von fünf gab es eine erfreuliche Ausnahme, wenn auch erst im zweiten Anlauf:

Vati hatte uns Puppenwagen gekauft. Aus England, mit echter Seide bespannt und natürlich sündhaft teuer. Meine Schwester bekam das Modell mit rosa Seide, ich das mit himmelblauer Seide. Grau-en-haft!

Meine Schwester war hingerissen und schleppte sofort all ihre Puppen an, ich machte (schon mangels Puppen) erst mal eine Denkpause, bedankte mich artig und zog mit dem ungewollten Puppenwagen davon.

Dreißig Minuten später war ich wieder da, mit Puppenwagen und strahlendem Gesicht! Ich hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis ich die ganze olle Seide endlich abgerissen hatte, die Seidendeckchen und -kissen im Müll versenkt und in dem -jetzt Bollerwagen- all mein Werkzeug und meinen Krempel verstaut hatte und Vati erklärte, er sei der beste Vati auf der ganzen Welt.

Soweit ich mich erinnere, war das allerdings das einzige Weihnachten, das mir jemals gefallen hat und Ostern finde ich mindestens genau so doof.

Immer wieder sonntags ...

Sonntage waren in meiner frühen Kindheit schwierig.

Etwas erträglicher wurden sie nur, wenn ich mich daneben benommen hatte, was im ersten Moment mal unlogisch klingt.

Das Schwierige an Sonntagen waren nicht so sehr die Kirchgänge, das kannte ich schon von während der Woche und irgendwie hatte ich mich daran auch gewöhnt, das Schwierige waren Seidenschleifchen!

Sontags wurde ich "fein gemacht" und dazu wurde ich aus meiner (inzwischen heiß geliebten) Lederhose geschält und in ein Kleidchen gesteckt und dann begann das Haar-Drama: Ich hatte sehr lange Haare und das strikte Verbot, die abzuschneiden (an irgendwas sollte man erkennen können, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen war), was mich nicht daran hinderte, es immer wieder zu versuchen, denn lange Haare waren lästig. Nachdem meine Haare also erst mal eine halbe Ewigkeit gebürstet wurden, wurden sie anschließend zu Zöpfen geflochten (bis dahin entsprach das noch dem Wochentags-Prozedere), aber dann kamen die Seidenschleifchen. Es gab Seidenschleifchen in allen Farben, passend zu allen Kleidchen und immer waren sie frisch gebügelt. Meine Großmutter war erklärte Tee-Trinkerin und immer stand ein hochglanzpolierter Kessel auf dem Herd. Über diesen heißen Kessel wurden die Seidenschleifchen gezogen, was genauso gut war wie bügeln und dann wurden die gebügelten Schleifchen in meine Zöpfe gebunden und ab da sollte ich mich dann benehmen (ich vermute, damit war gemeint, dass ich mich wie ein Mädchen benehmen sollte, kam also nicht in Frage) und vor allem auf die doofen Schleifchen aufpassen.

Ich wollte keine Schleifchen, ich fand Schleifchen doof, lästig, störend, aber offensichtlich war das meine Mutter, wie auch meiner Großmutter, wichtig, denn warum sonst hätten sie sich soviel Arbeit damit gemacht? Also versuchte ich, auf meine Schleifchen aufzupassen, sie nicht zu verlieren, nicht zu verknittern und möglichst da zu lassen, wo sie waren. Kurz: Ich war praktisch vollständig handlungsunfähig!

Nur wenn ich mich danaben benommen hatte, wurde ich von der Schleifchen-Zuteilung ausgeschlossen und zur Strafe mußte ich sonntags in einem farbverkleckerten Hemdchen (meine Großmutter war Künstlerin und arbeitete nebem Metallen auch viel mit Farbe und ihre Hemden, aus denen längst die vielen Flecken nicht mehr rausgingen, waren für mich groß genug als Kittelchen)  und offenen Haaren auf die Straße gehen. Alle Leute sollten sehen, dass ich kein braves, hübsches Mädchen war.

Es war einfach toll!

Neue Werte

Die Schule änderte viel in meinem Leben. Bereits das zweite Mal hatte der Ernst des Lebens begonnen (das erste Mal war der Kindergarten gewesen und ich ahnte noch nicht, wie oft in den nächsten Jahren dieser Ernst noch beginnen würde) und ziemlich schnell hatte ich mich an den Schulalltag gewöhnt.

Meine Klassenkameraden fand ich zwar alle irgendwie nicht so spannend (wieder so eine Horde äußerst wohlerzogener Geschöpfe und ich mitten drin), aber mein Klassenlehrer war toll! Herr Funnekötter entsprach so ziemlich dem, wie ich mir einen Großvater gewünscht hätte (trotz sieben Ehen meiner Großmutter war am Ende kein einziger Großvater für mich übrig geblieben, der letzte verstarb am Tag meiner Geburt, da ich aber ein wasserdichtes Alibi hatte -ich war in der Klinik- konnte man mir das nicht anlasten!) und war fortan die höchste Instanz in meinem Leben.

Meine Mutter hatte damit kein Problem, allerdings ihre liebe Not, denn als die Wochentage dran kamen, mußte sie sich ungewollt einer Kraftprobe stellen.

Schuld war natürlich wieder ich, ich hatte die Woche nämlich falsch abgeschrieben und so ging bei mir die Woche etwas anders: Montag, Mittwoch, Dienstag, Donnerstag, ... Natürlich teilte ich mein frisch erworbenes Wissen daheim umgehend mit und meine Mutter war angemessen beeindruckt, wollte das mit dem Dienstag und Mittwoch aber korrigiert wissen. Ein völlig hoffnungsloses Unterfangen, denn Herr Funnekötter hatte gesagt ... und was Herr Funnekötter sagte, stand außerhalb jeglicher Diskussion.

Meine Mutter versuchte wirklich alles und schleppte Kalender an, in denen überall nach Montag der Dienstag kam, aber das war egal und alles falsch, denn Herr Funnekötter hatte gesagt ...

Es blieb meiner Mutter nichts übrig, als mit mir zusammen zur Schule zu gehen und Herrn Funnekötter zu bitten, die Wochentage in meinem kleinen Universum neu zu sortieren, was der dann umgehend und völlig reibungslos tat. Wenn Herr Funnekötter sagte, nach Montag kommt Dienstag, dann war das so und es war völlig egal, wie das gestern gewesen war.

Leider nutzte Herr Funnekötter die Sommerferien dazu, aus dem Leben zu scheiden (vor allem aus meinem übrigens) und nach den Ferien trat Frau Kaufmann als neue Klassenlehrerin an. Ich mochte sie, aber sie hat nie den Status von Herrn Funnekötter erreichen können und nachdem mir die Fluktuation im Bereich der Führungskräfte dann doch etwas schwindelerregend schnell verlief (Schwester Tadea hatte ich ja auch bereits hinter mir gelassen), blieb ich von da an doch etwas auf Distanz zu allen weiteren Führungskräften. Irgendwie hielten die alle nie so richtig lange und dafür brachten sie mein kleines Weltbild schlicht zu sehr durcheinander und fortan hielt ich mich an mich selber als höchste Instanz für alle Werte und Entscheidungen.

Was wäre wohl aus mir geworden, wenn Herr Funnekötter das Rentenalter erreicht hätte?

Wieso hört keiner auf mich?

Man kann nicht behaupten, ich sei so ganz ohne Vorwarnung über die Welt hereingebrochen!

Ganz abgesehen davon, dass ich für meine Mutter wohl keine sonderlich ruhige Schwangerschaft gewesen war (meine Schwester hatte sich natürlich vorbildlich verhalten), war auch meine Geburt eine etwas schwierige Angelegenheit gewesen und vor allem mein Versuch, von Anfang an klarzumachen, dass das mit mir nichts wird, aber auf mich wollte ja keiner hören.

Wie sich das für meine Familie gehörte, lang meine Mutter standesgemäß in der teuersten Privatklinik der Stadt und bemühte sich (vergeblich!) dem Professor klarzumachen, dass das mit der Geburt längst überfällig war, aber als Professor wußte er das besser.

Irgendwo hatte aber auch ich meine Sturheit her und meine Mutter bestand schließlich darauf, die Geburt künstlich einleiten zu lassen (damals nicht gerade üblich und zudem ziemlich riskant), es wurde also mit einer sehr langen, sehr dünnen und sehr spitzen Nadel die Fruchtblase angestochen und kurz danach kam ich dann endlich zur Welt, wenn auch blutüberströmt und laut brüllend. Der gute Professor hatte es mit der Nadel etwas zu gut gemeint und so nicht nur die Fruchtblase angestochen, sondern mir das Dinge genau zwischen die Augen und wenn man bedenkt, dass auch Dickschädel bei der Geburt noch einen ziemlich kleinen Kopf haben, grenzt es fast an ein Wunder, dass er mir nicht ein Auge ausgestochen hat oder mich gleich komplett erledigt hatte.

Meine Mutter hatte übrigens Recht gehabt mit ihrer Berechnung, denn ich zeigte bereits starke Fruchtwasservergiftungen. Die Haut hing an vielen Stellen lose an mir runter, ich roch ziemlich gammelig und hatte überall am Körper dicke, gelbe Stippen mit schwarzen Punkten drauf (Eiterblasen). Das Highlight müssen aber meine Haare gewesen sein: Ich hatte büschelweise pechschwarze Haare, die senkrecht vom Kopf abstanden und hart wie Draht waren, wovon aber nicht zwei die gleiche Länge hatten und die Schwestern nannten mich "den wildgewordenen Handfeger" und mit diesen markanten Merkmalen ist absolut sicher, dass ich später nicht verwechselt wurde, mich hätte man überall rausgefunden.

Alles in allem war das aber eine klare Ansage gewesen, die nur niemand verstanden hatte: Von Anfang an hatte ich versucht, meiner Mutter klarzumachen, dass das mit mir nur Probleme gibt und sie das mit meiner Geburt besser lassen sollte, aber sie mußte sich ja unbedingt einen Professor dazuholen und auch mein Versuch, mich in die Nadel zu stürzen und meine Geburt doch noch irgendwie zu verhindern, war ignoriert worden.

Tja, dann kein Mitleid, Ihr habt es so gewollt!

Gewalt ist in Einzelfällen doch eine Lösung

Man mag es kaum glauben, aber ich hatte eine schwere Kindheit!

Naja, nicht durchgehend, aber der Teil mit meiner Schwester war schon ziemlich anstrengend.

Die ersten Jahre hatte ich sie kaum wahrgenommen, da sie ja dauernd mit Mädchenkram beschäftigt war, danach fand ich sie die nächsten Jahre schlicht doof.

Sie hingegen fand mich lästig, denn dauernd sollte sie auf mich aufpassen, was vermutlich keine wirklich leichte Aufgabe war, denn erstens war ich nie da, wo ich sein sollte und zweitens machte ich da wo ich nicht sein sollte garantiert Sachen, die ich auf keinen Fall machen sollte.

Irgendwann verdarb Geld unser beider Charakter. Meine Schwester brauchte mehr davon als sie hatte (sie war inzwischen in der Barbiepuppen-Phase angekommen und der Krempel von Martell kostete Unsummen), ich kletterte immer noch in Bäumen rum und das kostete nichts (naja, wenn man mal davon absieht, dass es meine Mutter ziemlich Nerven gekostet hat) und so war ich ziemlich bald sowas wie reich.

Wir bekamen beide Taschengeld und zeitgleich feste Aufgaben (es gibt nichts umsonst, man muß sich alles verdienen!) und darüber hinaus gab es eine reichhaltige Liste mit Aufgaben, mit denen man sein "Einkommen" aufbessern konnte (Schuhe putzen -nicht die eigenen!- brachte 50 Pfennig, Knopf an Vatis Hemd annähen 1 Mark, Knopf an Bettwäsche annähnen 50 Pfennig, Handtücher zusammenlegen pro Wäschekorb 1 Mark, ...).

Die festen Aufgaben wechselten wochenweise (Spülen oder Abtrocknen, Mülleimer rausbringen oder Flaschen wegbringen,...) und erfreuten sich unterschiedlichem Unbeliebtheitsgrad (Spülen war eindeutig beliebter als Abtrocknen, beides irgendwie ziemlich blöd und vermutlich nur pädagogisch wertvoll, wir hatten nämlich eine Spülmaschine, nach dem Abendessen wurde aber von den Kindern abgewaschen und abgetrocknet) und meine Schwester verstand es, regelmäßig die beliebteren Dinge zu tun, wahlweise mir alles zu überlassen, derweil ich ihr mein Taschengeld überlassen durfte. Tat ich das nicht, drohte sie mir an, unserer Mutter zu erzählen, ich habe dieses oder jenes angestellt und mein Einwand, dass das ja gelogen wäre, beeindruckte sie wenig "Mama glaubt mir sowieso mehr als Dir, Du stellt ja sowieso ständig irgendwas an!" womit sie nicht ganz unrecht hatte und ich annahm, dass das funktionieren könnte.

Auf Dauer gefiel mir das aber nicht und eines Tages stand sie wieder vor mir und verlangte mein Taschengeld. Das wäre ja noch fast in Ordnung gewesen, denn Geld interessierte mich nicht, was mich aber zunehmend störte, war ihr hämisches "Heul doch, heul doch!", womit klar war, mit Mitleid war da nicht zu rechnen und das würde wohl für immer so bleiben. Was blieb mir also?

Ich holte weit aus und verpaßte meiner Schwester eine schallende Ohrfeige, die so perplex war, dass sie schlagartig still war, wärend ich ziemlich überrascht feststellte, dass das ein ziemlich gutes Gefühl gewesen war und so holte ich nochmal aus und knallte ihr noch eine.

Damit war die Sache dann ein für alle mal geregelt und im weiteren Verlauf unserer frühen Kindheit wechselten die festen Aufgaben wieder regelmäßig, ich häufte ein kleines Vermögen an (ich hatte immer noch so recht keine Verwendung für Taschengeld) und wenn ich wirklich nicht mehr wußte, wohin damit, kaufte ich für meine Schwester ein Barbie-Kleidchen, die sich riesig freute.

An sich hatte sich damit zwar an der endgültigen Verwendung meines Taschengeldes nicht sonderlich viel geändert, jetzt tat ich das aber freiwillig, zu einem Zeitpunkt, den ich bestimmte und statt mich zu unterdrücken, liebte meine Schwester mich heiß und innig. An zwei Sachen davon hat sich bis heute nichts geändert: Ich reagiere ausgesprochen heftig und mit extremem Wiederstand auf Druck und meine Schwester liebt mich immer noch heiß und innig.

Wie ich finde, ein ziemlich guter Deal für das bischen Taschengeld.