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Früh übt sich, was kein Mädchen werden will

Weihnachten war eine schwierige Zeit. Schon immer!

Nicht genug damit, dass es regelmäßig eine Überdosis Familie gab (und damit leider eine Überdosis Aufmerksamkeit), es strapazierte meine Geduld regelmäßig über Gebühr. Wegen der ständig anwachsenden Anzahl von Geschenken, die irgendwo versteckt werden mussten, wurde mein Zuhause zu einer immer größeren Sperrzone, was immerhin den Vorteil hatte, dass ich ziemlich viel raus durfte, aber wann immer ich doch mal Zuhause war, hatte ich garantiert irgend einen Erwachsenen im Nacken, der ständig guckte, ob ich bloß nicht aus Versehen eines dieser hochgeheimen Verstecke finden würde (was völliger Blödsinn war, ich interessierte mich sowieso nicht für Geschenke und das aus gutem Grund!).

Heilig Abend war immer besonders schlimm, denn da zog sich meine Mutter mit dem Weihnachtsmann ins hintere Wohnzimmer zurück: Weihnachtsbaum schmücken! Die Beiden (also Mutter und der Weihnachtsmann) brachten meine kompletten Wirkungskreise durcheinander denn mal ganz abgesehen von Weihnachten, hatte ja auch ich meine Geheimverstecke und zwar ganzjährig, um die Weihnachtszeit aber echte Probleme, da dran zu kommen (außerdem bestand das Risiko, dass meine Mutter bei der Suche nach Verstecken versehentlich eines meiner Verstecke fand).

Eines Abends fand ich mich dann auch vor der verschlossenen Wohnzimmertür und quengelte, wie lange das denn noch dauern würde (ich hatte mal wieder einen Wecker zerlegt und wollte die belastenden Reste in meinem üblichen Versteck verschwinden lassen, Mülleimer schieden für sowas nämlich aus, die wurden eingehend untersucht, bevor sie das Haus verließen) und meine Mutter erklärte, sie und der Weihnachtsmann hätten noch hundert silberne und hundert goldene Lamettafäden aufzuhängen. Da ich wußte, dass bei uns Lametta einzeln aufgehängt wurde, brach ich kurzerhand mit einem Weinkrampf vor der Tür zusammen, was den Nachteil hatte, dass meine Mutter sofort die Tür öffnete und mich trösten wollte und ich keine Zeit mehr hatte, den frisch zerlegten Wecker verschwinden zu lassen.

Wenn dann der Baum endlich mal fertig war, gab es dann auch irgendwann die Bescherung, die aus meiner Sicht immer eine echte Bescherung war, denn nach wie vor hielt sich hartnäckig das Gerücht, ich sei ein Mädchen und entsprechend bekam ich immer Mädchenkram. Nur im zarten Alter von fünf gab es eine erfreuliche Ausnahme, wenn auch erst im zweiten Anlauf:

Vati hatte uns Puppenwagen gekauft. Aus England, mit echter Seide bespannt und natürlich sündhaft teuer. Meine Schwester bekam das Modell mit rosa Seide, ich das mit himmelblauer Seide. Grau-en-haft!

Meine Schwester war hingerissen und schleppte sofort all ihre Puppen an, ich machte (schon mangels Puppen) erst mal eine Denkpause, bedankte mich artig und zog mit dem ungewollten Puppenwagen davon.

Dreißig Minuten später war ich wieder da, mit Puppenwagen und strahlendem Gesicht! Ich hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis ich die ganze olle Seide endlich abgerissen hatte, die Seidendeckchen und -kissen im Müll versenkt und in dem -jetzt Bollerwagen- all mein Werkzeug und meinen Krempel verstaut hatte und Vati erklärte, er sei der beste Vati auf der ganzen Welt.

Soweit ich mich erinnere, war das allerdings das einzige Weihnachten, das mir jemals gefallen hat und Ostern finde ich mindestens genau so doof.

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