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Spätfolgen von Multi-Tasking

Nach über 30 Jahren bin ich zurück in der Stadt, in der ich geboren wurde und habe jetzt sehr häufig Kontakt mit meiner Schwester (wir wohnen keine 500 Meter voneinander entfernt). Also echten Kontakt und das sehr regelmäßig!

Vorher hatten wir Entzugserscheinungen wenn wir mehr als drei Tage nicht telefoniert hatten, 2x im Jahr kam sie zu mir nach Hannover, 2x ich zu ihr nach Münster und alles war gut.

Jetzt sehen wir uns fast jeden Tag und sie ruft täglich bis zu 8x an (die Logik dahinter erschließt sich mir nicht ganz).

So langsam fällt mir aber auf, dass sie echt unkonzentriert ist, ständig drei Sachen auf einmal macht und ich ihren Gedankensprüngen oft nicht folgen kann (sie selber oft auch nicht).

Sitzen wir doch neulich im Auto und im Radio läuft irgend ein Oldie und sie bemerkt begeistert "Oh, Harpo, habe ich ja ewig nicht gehört!" Harpo? Nicht wirklich! Nach einem Blick auf das Display meine Radios merke ich vorsichtig an, dass der Song von Gezebo ist.

Kommentar meiner Schwester: "Egal, Hauptsache mit O!"

Als sie dann ernsthaft nachfragte, auf was für einen Wochentag Rosenmontag dieses Jahr fällt, habe ich doch mal ein ernstes Gespräch mit ihr geführt und wir üben jetzt Single-Tasking, bzw. sogar No-Tasking: An der frischen Luft sitzen und nichts tun und das über die Dauer einer Tasse Kaffee.

Es fällt ihr echt schwer und sie hat kurz über Espresso nachgedacht, aber so langsam wird es besser.

Nächste Woche werde ich mal testweise fragen, auf was für einen Wochentag Ostersonntag dieses Jahr fällt ...

"Weißes Gold" aus der Apotheke

Für alle, die es noch nicht wissen (vermutlich also taub, blind, bereits tot, ggf. geeignete Mischform): Corona ist da!

Keine Ahung wieso, aber plötzlich kaufen alle Menschen in diesem Land Toilettenpapier. Toilettenpapier! Wieso ausgerechnet Toilettenpapier? In Frankreich kaufen alle Rotwein und Kondome, aber wir kaufen Toilettenpapier, irgendwie ziemlich deutsch.

War mir erst mal egal, ich hatte neulich erst (also vor Corona) ein Jumbopaket mit 20 Rollen im Angebot gekauft und machte mir daher erst mal keine Sorgen um mich und meine WC-Hygiene.

Leider musste dann eine Freundin von uns in Quarantäne (Kindergärtnerin) und meldete Bedarf.

Tja, ich habe 10 Tage vergeblich versucht, Toilettenpapier zu kaufen, keine Chance.

Inzwischen machte auch meine Schwester sich langsam Sorgen um den Nachschub, bestand aber weiterhin auf das von ihr bevorzugte 4-lagige Toilettenpapier. Ich habe ihr empfohlen, sich rechtzeitig ein weißes Angora-Häschen anzuschaffen, das kann sie notfalls nach Gebrauch auswaschen ...

Mein Nachbar ist eindeutig in so ziemlich allen Risikogruppen (an die 70, gerade frisch operiert, Gehbehindert, ...) also habe ich ihm angeboten, wenn er irgendwas braucht (Einkaufen, Apotheke, Getränkemarkt, ...) einfach melden. Hat er dann auch prompt gemacht: Er ist soweit versorgt, aber er bräuchte inzwischen ziemlich dringen Toilettenpapier ...

War ja klar, was auch sonst? An allen Geschäften hängen inzwischen schon draußen Pappschilder mit "Heute kein Klopapier!".

Ich erzählte in der Apotheke um die Ecke von meinem Problem und der Apotheker raunte mir zu "Ich kann da vielleicht helfen, kommen Sie doch mal an die Ecke hier vorne". HÄ?

Er erklärte mir flüstern(!!!), dass er für die Apotheke im Großmarkt Toielttenpapier bestellt habe und vorsorglich gleich etwas mehr als sonst und mir eine Packung für meinen Nachbarn abgeben könne, die Lieferung sei für den nächten Tag gemeldet und er würde mich dann anrufen.

Hat er dann auch getan, nämlich eine Stunde später (in der Zwischenzeit hatte ich wieder verglich versucht, bei dm Toilettenpapier zu bekommen) und so ergatterte ich eine Packung (8 Rollen) Hakle 4-lagig für Euro 3,29, die ich natürlich umgehend meinem Nachbran vor die Tür stellte.

Hätte ich geahnt, dass es am gleichen Tag bei Lidl eine ganze Palette Toilettenpapier sogar im Angebot (20 Rollen für Euro 4,99, 3-lagig)  gab, hätte ich das 4-lagige meiner Schwester gegeben. Egal, ich habe für meinen Nachbarn jetzt noch zusätzlich ein Paket aus dem Angebot gekauft und er sollte damit erst mal versorgt sein, meine Schwester hat ja immer noch die Option mit dem weißen Angora-Häschen zum Auswaschen.

Theo plant meine Zukunft

Meine Ausbildung neigte sich dem Ende zu und bisher war völlig ungeklärt, ob ich übernommen werden würde und falls ja, in welcher Abteilung. Der einzige Mensch, der sich darum keine Sorgen machte, war ich, schon darum nicht, weil es aktuell keine freien Stellen gab, die mich interessiert hätten.

Wir waren etwa 30 Azubis pro Lehrjahr und die Mehrzahl davon wurde übernommen und landete in so wenig spektakulären Abteilungen wie Restaurant oder Küche und da wollte ich ganz sicher nicht hin.

Ich war zu der Zeit in der Buchhaltung und wir hatten einen neuen Einkaufsleiter, der nur "Der Eierkopp" genannt wurde, was keine gute Beschreibung war, tatsächlich war er doof wie Brot und richtete ständig das größte Chaos an.

Theo machte noch immer seine Verschnaufpausen bei mir, außer wenn unser Buchhalter mit im Büro war, dann ging er behelfsweise in das meist leere Einkaufsbüro nebenan, wo der Eierkopp nur sehr selten war, so desorientiert wie er war, rannte er den ganzen Tag mit hochrotem Gesicht panisch durch die Gegend und versuchte zu korrigieren, was er wieder verbaselt hatte.

Eines Tage ging ich kurz nach Theo ins Einkaufsbüro, wo ich dem Eierkopp einige Rechnungen auf den Schreibtisch legte, die er mal wieder falsch kommentiert oder nicht abgezeichnet hatte. Eierkopp hatte zwar keinen Plan, aber einen Zettelklotz, auf dem auf jedem Blatt sein Name eingedruckt war und in der Zeile darunter "Einkaufsleiter" stand.

Auf dem obersten Blatt hatte Theo "gedacht" und in seiner gestochen scharfen Schrift Eierkopps Namen sauber durchgestrichen, statt dessen meinen hingeschrieben und die Zeile darunter auf "Einkaufs-Assistentin" geändert, eine Position, die es überhaupt nicht gab.

Zwei Wochen später bat er mich in sein Büro und erklärte mir, er habe mit der Zentrale abgestimmt, dass wir eine neue Position einrichten werden, nämlich die der Einkaufs-Assistentin. Ziel der Stelle sei, die komplette Lagerhaltung neu zu strukturieren, alle Verträge zu überprüfen und ggf. neue Konditionen auszuhandeln und anschließend alle internen Bestell-Abläufe neu zu organisieren und ein neues Controlling zu installieren, einschließlich dem dazugehörigen Berichtswesen und diese Stelle wolle er mir anbieten. Geplanter Zeitraum für die Umstrukturierung sei ein Jahr mit Aussicht auf die Position des Einkaufsleiters.

Natürlich habe ich angenommen, war aber nach sechs Monaten damit fertig. Nur Einkaufsleiter bin ich bei Theo dann doch nicht geworden, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Den korrigierten Zettel von Eierkopps Zettelklotz habe ich aber immer noch :-)

Die Sache mit den Namen

Wir hatten also einen neuen Direktor und irgendwie hatte der mit manchen Namen Probleme, so mit dem unseres Barchefs, Mats Lagerwall, seines Zeichens Schwede.

Abend für Abend wiederholte sich die gleiche Geschichte: Herr Theopold ging an der Bar vorbei und grüßte mit "Guten Abend Herr Lagerwald" und jeden Abend erklärte Mats ihm, dass er Lagerwall heißt, was Theo nicht weiter beindruckte, er konnte es sich einfach nicht merken.

Eines Abends hatte Mats dann wohl genug davon und auf den üblichen Gruß "Guten Abend Herr Lagerwald" antwortete er "Guten Abend Herr Leobald".

Theo stutzte, blieb stehen und erklärte: "Ich heiße Theopold, nicht Leobald" und Mats antwortete: "Nicht so schlimm, ich heiße ja auch nicht Lagerwald sondern Lagerwall!" und grinste.

Trotzdem konnte Theo sich den Namen nicht merken und so änderte er den Text des täglichen Rituals kurzerhand auf "N'abend Mats".

Geht doch :-)

Der Preis der Verschnaufpause

Aus irgend welchen Gründen mochte mein Direktor mich und so durchlief ich während meiner Ausbildung mehr Abteilungen als von der IHK vorgesehen, aktuell war es der Einkauf.

Theo hatte inzwischen alle seine Mitarbeiter kennen gelernt und nur wenige mochten ihn. Die letzten zehn Jahre war er in Caracas gewesen und hatte von dort mitgebracht, dass man Mitarbeiter regelmäßig anschreien muss, damit die nicht ständig irgendwo faul in der Sonne lagen und pennten.

Ich hatte mehrfach versucht, ihm zu erklären, dass das in unseren Breitengraden nicht nötig sei, schon darum nicht, weil hier nicht ganzjährig die Sonne vom Himmel knallte, aber es blieb dabei: Der erste, der das Pech hatte, Theo morgens über den Weg zu laufen, wurde erst mal angebrüllt.

Die Stimmung war eindeutig auf dem Tiefpunkt.

Ein bis zweimal pro Tag stürmte Theo ins Einkaufsbüro (das alleine war schon recht sportlich, das Einkaufsbüro war so klein wie ein Schuhkarton), ließ sich auf dem zweiten Stuhl hinter mir fallen, holte tief Luft und lies sich zusammensacken. Dann rauchte er eine Zigarette, holte nochmal tief Luft, richtete sich wieder auf und ging wieder.

Anfangs hatte ich noch gedacht, dass ich mich mit ihm unterhalten müsse, das war aber nicht nötig, für ihn war das der Ort, an dem er sich sicher fühlte, wo er kurz verschnaufen konnte, um sich dann wieder auf das Schlachtfeld zu begeben. Wegen unseres ersten Zusammentreffen war er der Meinung, ich sei der einzige Mensch seiner 120 Mitarbeiter, der es gut mit ihm meint und so, wie er sich benahm, hatte er damit nicht ganz Unrecht.

Soweit ja irgendwie schmeichelhaft, für mich aber teuer, denn oft war es meine Zigarette, die er da rauchte, womit ich auch noch hätte leben können, nur steckte Theo nicht selten meine Schachtel ein, bevor er wieder ging.

Auch wenn das offensichtlich keine böse Absicht war, ging das auf Dauer doch ins Geld und nach der fünften Schachtel wartete ich drei Minuten ab und rief ihn in seinem Büro an, wo er sich in seiner üblichen, wenig freundlichen Art knapp am Telefon meldete und fragte ihn, ob er bitte mal in seine rechte Jackentasche gucken könne und mir sagen, was er da drin hat. Theo kannte mich und meine komischen Fragen inzwischen gut genug, um entschieden zu haben, dass es besser sei, sie zu beantworten und meldete "Eine Schachtel Zigaretten". Dann bat ich ihn, das mit der anderen Jackentasche zu wiederholen und staunend erklärte er "Noch eine Schachtel Zigaretten!"

"Prima" sagte ich, "Das ist nämlich meine und die hätte ich gerne wieder zurück oder eine Lohnerhöhung, das ist jetzt nämlich schon die fünfte Schachtel und ich bin hier nur Azubi, nicht Krösus!"

Theo kam umgehend zurück, brachte mir meine Zigaretten zurück und zeigte mir bedauernd sein wirklich komplett leeres Portemonnaie, entschuldigte sich und versprach, das wieder gut zu machen allerdings nicht mehr heute (siehe leeres Portemonnaie).

Am nächsten Tag bekam ich mit dem knappen Kommentar "Anzahlung" eine neue Schachtel Zigaretten und von da ab jede Woche eine und er gewöhnte sich an, jedes Mal, bevor er mein Büro wieder verließ, seine Taschen abzuklopfen und zu prüfen, ob nicht wieder meine Zigaretten eingesteckt hatte.

Er brüllte zwar noch immer jeden Morgen den ersten an, aber jetzt wusste ich immerhin, dass er lernfähig war und das mit dem Rumbrüllen haben wir dann auch irgendwann noch weg bekommen. Hat aber echt gedauert!

Wie ich meinen neune Direktor kennenlernte

Kurz vor Beginn meiner Ausbildung im Hotel wechselte der Direktor, was ich aber nicht sofort mitbekam, denn noch war ich ja Aushilfe, da war man über sowas nicht informiert, es wurden aber alle Mitarbeiter (inkl. Aushilfen) an einem bestimmten Tag für 16 Uhr zu einer kurzen Personalversammlung eingeladen. Worum es ging, war nicht bekannt, musste aber wohl wichtig sein.

Kurz vor 16 Uhr war ich brav vor Ort und fand vor der Stempeluhr einen Menschen, der etwas hilflos die über hundert Stempelkarten studierte.

Aha, eindeutig neu und ahnungslos, also stellte ich mich vor, erklärte, wie das mit den Stempelkarte funktioniert, wo man die bekommt, was am Monatsende damit passiert, wo man die einsehen kann, wo die Kantine ist, wo man rauchen kann und vor allem, dass man sich vor Dienstbeginn umzieht und erst dann stempelt und nach Dienstende erst stempelt und sich dann umzieht und heimlich rauchen auf dem Klo oder in der Umkleide ekelig ist. Ansonsten wünschte ich ihm alles Gute für seinen Job und erklärte ihm, dass unser Mövenpick Hotel Münster einfach toll ist und da tolle Leute arbeiten und trollte mich eilig davon, um 16 Uhr war ja Personalversammlung.

Dort stand dann unser Direktor und seltsamerweise neben ihm die hilflose Person von vorhin und erklärte, dass er das neue Mövenpick Hotel in Cairo übernehmen werde und seinen Nachfolger vorstellen wolle und das war der Mann neben ihm. Der stellte sich kurz vor und erklärte, dass er jetzt der Neue sei und bat um Verständnis, dass er seine Mitarbeiter erst nach und nach kennenlernen könne, bisher wisse er nur, dass wir ein tolles Hotel wären und wer Frau Kruse ist.

Tja, das war der Beginn einer wirklich guten Freundschaft, die sich auch über das Ende meiner Ausbildung hielt und mir eine gewisse Sonderstellung eintrug.

Schwierige Vorgesetzte

Schon in meiner ersten Beurteilung im ersten Lehrjahr stand "Nicht leicht zu führen" und so wirklich viel hat sich bis heute daran nicht geändert. Das mag aber auch daran liegen, dass die Sache mit den Führungskräften nicht immer so ganz einfach ist: Schwester Tadea hatte ich mit dem Kindergarten hinter mir gelassen, Herr Funnekötter (die nächste höchste Instanz in meinem kleinen Leben und mein erster Grundschullehrer) hatte mich über die Sommerferien durch Tod hinter sich gelassen und in der Lehre war das dann echt kompliziert geworden, denn einige davon mochte ich einfach nicht, was üblicherweise auf Gegenseitigkeit beruhte. Besonders nicht mochte ich unsere "Leiterin Hotelabteilung" (nicht ahnend, dass ich diesen Titel Jahre später selber tragen würde).

Eine durchaus beeindruckende Dame, der ich nach wie vor hohe Fachkompetenz zugestehe, aber bei Sozialkompetenz war sie eine Nullnummer, auch wenn ich zugeben muss, dass ich sehr viel von ihr gelernt habe (dummerweise hat sie mich in einem Beurteilungsgespräch mal direkt gefragt, ob ich etwas von ihr gelernt hätte und meine Antwort hat sich nicht unbedingt positiv auf meine Beurteilung ausgewirkt: Ja, habe ich, nämlich wie ich es auf keinen Fall machen werde!").

Zu der Zeit war Trinkgeld noch erwähnenswert und an der Rezeption verging kein Morgen ohne mindestens ein bis zweihundert Mark Trinkgeld. Dieses Trinkgeld war allerdings bei besagte Leiterin Hotelabteilung abzugeben und wurde von dieser nach einem unbekannten Schlüssel ungefähr monatlich an die Mitarbeiter verteilt. Bekannt war nur, dass Azubis mit einem festen Betrag von 50 Mark bedacht wurden, es sei denn, die Dame hatte entschieden, das gesamte Trinkgeld für irgendwelche Zwecke zu spenden. Natürlich ohne zu fragen!

So ganz habe ich nie an die Spenden geglaubt, denn die Dame litt an chronischem Geldmangel (kein Wunder, wenn man jeden Tag mit dem Taxi zur Arbeit und wieder zurück fährt, das geht auf Dauer ins Geld, aber ihren Führerschein bewahrte eine Behörde für sie auf, Trunkenheit am Steuer war schon damals nicht gern gesehen). Es hätte sich aber niemals jemand gewagt, irgendwas zu sagen, auch dann nicht, wenn mal wieder Geld in der Kasse fehlte. Die Kasse konnte zwei Minuten vorher gezählt worden sein und gestimmt haben, sie wechselte sich nur mal kurz Geld für Zigaretten und man durfte scher sein, dass durchschnittlich 20 Mark fehlten. Ok, nicht meine Kasse, nicht mein Geld, ergo nicht meine Baustelle.

Die Azubis der Rezeption mussten regelmäßig die freien Tage der Shop-Leitung (Verkauf von Mövenpick Eis, Kuchen, Wein und etwa einer Million Geschenkartikel) übernehmen, ich besonders häufig und an jedem Feierabend kam sie in den Shop, ließ sich ein Stück Kuchen einpacken, den die nicht bezahlte und den ich ihr auch noch ins wartende Taxi tragen durfte.

Das war dann allerdings tatsächlich meine Baustelle, aber nicht mal ich war so wahnsinnig, sie zu fragen, ob sie nicht der Meinung sei, dass auch sie für Kuchen bezahlen müsse, gleichzeitig hatte ich aber auch eine Verantwortung meinem Arbeitgeber gegenüber und das hier war eindeutig Diebstahl, also was tun?

Jeden Abend war im Logbuch der tägliche Umsatz des Shops einzutragen und die Kuchenkontrolle und das Logbuch wurde jeden Morgen vom Direktor abgezeichnet. Die Kuchenkontrolle war allerdings alles andere als eine echte Kontrolle, die wurde nämlich von hinten nach vorne errechnet, statt gezählt: Anzahl Kuchenstücke, die man abends ins Kühlhaus brauchte, minus Anzahl verkaufter Kuchen laut Kassenjournal, minus Anzahl Bons aus dem Restaurant war der Anfangsbestand, es gab also niemals eine Differenz. NIE!

Jedenfalls bis dahin. Da klar war, dass ich die Dame nicht würde ansprechen dürfen (zumindest nicht, wenn ich überleben wollte), das aber nicht einfach so stehen lassen wollte, machte ich meine Eintragung der Kuchenkontrolle so, dass das erste Mal eine Differenz entstand und schrieb im Logbuch erklärend dazu: "Ein Stück Mohntorte (DM 3,50) hat Frau [Name entfernt wegen Datenschutz oder was auch immer] mitgenommen." und legte das unserem Direktor brav in sein Fach. Was der jetzt damit machen würde, war nicht mehr meine Angelegenheit und lag eindeutig außerhalb meines Kompetenzrahmens.

Die Logbücher der einzelnen Abteilungen wurden am nächsten Tag um 10 Uhr beim täglichen Kadermeeting wieder an die Abteilungen verteilt und um 10:45 des nächsten Tages fand ich mich prompt strafversetzt auf der Etage wieder, wo ich Zimmer putzen durfte, statt Geschenkartikel zu verpacken und die Uhl'sche Schleife zu üben: Der Direktor hatte die Dame im Kadermeeting seidenweich gefragt, was sie von unserer Mohntorte halte und die schwärmte gleich los, wie gut die sei und mit den Worten "Dann sollten Sie sie das nächste Mal bezahlen. Das von gestern umgehend!" knallte er ihr das Logbuch hin.

Meine Strafversetzung dauerte allerdings nur knapp zwei Stunden, dann lief ich unserem Direktor über den Weg, der nicht schlecht staunte, als er mich in Zimmermädchen-Uniform sah und wortlos aber wutschnaubend davon stampfte. Zehn Minuten später durfte ich mich dann das zweite Mal an dem Tag umziehen und fand mich umgehend im Shop wieder bei meinen Schleifchen, Kaffee, Eis, Wein und Kuchenstücken.

Von da an hatte ich in der Dame einen leidenschaftlichen Feind und das blieb bis zum letzten Tag so. Ihrem letzten Tag übrigens, denn die Dame durfte vor mir gehen und konnte mir auch nichts mehr tun, dafür sorgte unsere Direktor schon :-)

Warum ich soviel rede und schreibe

Kurz vor dem Abitur war ich wohl irgendwie nicht ganz ausgelastet, also gönnte ich mir einen schweren Autounfall.

Nachdem mein kleiner VW-Käfer sich dreimal um sich selber gedreht hatte, einer Straßenlaterne das Lichtlein ausgepustet hatte und einen nagelneuen Citroen fachgerecht zum Totalschaden verschrottet hatte, bremste er mit einer Bushaltestelle, die danach auch nicht mehr zu brauchen war, weil komplett flach gelegt.

So richtig gesund war das allerdings nicht und so verbrachte ich längere Zeit auf der Intensivstation, auf der ich mich erfolgreich weigerte, an meinen diversen Verletzungen zu sterben. Neben diversen Knochenbrüchen, Organquetschungen, einem Leberriß, kaputten Knien und einer veränderten Wirbelsäule waren die schweren Kopfverletzungen wohl das, was den Ärtzen am meisten Kopfschmerzen machte und jeden Tag wurde neu diskutiert, ob man nicht doch besser den Schädel öffnen sollte, denn auf meinem etwas ungewöhnlichen Weg durch die Kreuzung hatte ich erst mit dem Kopf das Seitenfenster eingeschlagen, dann eine kurze Pause gemacht und den Unterkiefer auf das Lenkrad gebettet, um dann nochmal richtig Anlauf zu nehmen und die Windschutzscheibe zu durchschlagen. Dickschädel halt.

Da Kopfverletzungen sehr stark bluten, hatte es ziemlich lange gedauert, die ganzen Splitter aus meinem Kopf zu holen und bis auf einen hat man auch alle gefunden. Der eine war mit soviel Wucht eingeschlagen, dass er die Schädeldecke durchschlug und sich bis heute in meinem Hirn einen unguten Weg bahnt, die meiste Zeit aber friedlich ist. Erst viele Jahre später stellte sich heraus, dass sich aus einer Quetschung eine Art Blutgerinnsel gebildet hatte, dummerweise aber so ungünstig lag, dass man es weder therapieren, noch operieren konnte, weil es mitten im Sprachzentrum lag. Leider lag es da nicht nur rum, sondern würde mich nach Ansicht der Weißkittel demnächst erledigen und demnächst sollte recht bald sein, das Hirn wurde nämlich nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, löste sich bereits teilweise von der Schädeldecke und legte das Sprachzentrum lahm.

Tja, da saß ich also nun und sollte daheim auf dem Stühlchen hocken und warten bis ich sterbe und das einzige, was man mir therapeutisch noch anbieten konnte, war eine psychologische Begleitung, die ich aber ablehnte, schon darum, weil ich nicht mehr sprechen und schreiben konnte. Lesen allerdings konnte ich seltsamerweise immer noch und so beschloss ich, sprechen und lesen alleine wieder zu lernen und fand das dafür perfekte Medium: Usenet! Usenet wird weltweit verteilt, ist sehr streng hierarchisch organisiert und besteht zu gut 90% aus Formalneurotiken, die gesteigerten Wert auf sauber gemischte Groß-/Kleinschreibung legen und nach dem fünften Rechtschreibfehler wenig höflich, dafür deutlich darum bitten, die Tür im Rausgehen leise zu schließen. Ein Medium, in dem noch immer gilt "Form vor Inhalt".

Na da war ich ja bestens aufgehoben und nachdem ich mehrere zehntausende von Postings gelesen hatte und am PC hartnäckig meine Schreibübungen gemacht hatte, wagte ich mich, dort auch zu schreiben, erst mal allerdings nur in Testgruppen, die an sich nur von Bots gelesen werden. Genau da wurden aber ein paar Leute auf mich aufmerksam, die mich irgendwie witzig fanden und einluden, auch in anderen Gruppen zu schreiben, was ich dann auch tat und so findet goolge bis heute tausende von Postings von mir aus der Zeit (Usenet wird nicht nur weltweit verteilt, sondern auch weltweit gespeichert und das in alle Ewigkeit).

Je mehr ich schrieb, desto mehr kam auch meine Sprache zurück, nur meine Pinnwand glich inzwischen einem Blätterwald, denn es gab und gibt Worte, die ich einfach nicht mehr lernen konnte und bis heute Buchstabe für Buchstabe abschreiben muss. "Tastatur" ist eines davon und ich war einer der wenigen Menschen, die total froh über die Rechtschreibreform waren, denn müssen, müsste, musste habe ich nie mehr zusammen bekommen. "s" oder "ß"? Ich habe keine Ahnung, dabei konnte ich das mal.

Es hat acht Monate gedauert, bis ich wieder richtig sprechen und schreiben konnte, trotzdem waren die Weißkittel weiter sicher, dass ich nicht mehr sonderlich lange zu leben hätte und an sich sogar bereits überfällig war, also rief ich meinen Direktor an und teilte ihm mit, dass ich bitte wieder arbeiten möchte. Autofahren konnte ich noch nicht wieder und es war klar, dass ich nicht wirklich einsatzfähig war, also stellten meine Mitarbeiter und Kollegen kurzerhand einen "Fahrdienst" auf die Beine: Ich wurde jeden Tag abgeholt und wenn es mir schlecht ging, umgehend wieder nach Hause gefahren. Mal war das eine Stunde, mal nur zwanzig  Minuten, aber nach zwei Monaten konnte ich wieder voll arbeiten und auch selber wieder Auto fahren.

Bis heute ist jedes Wort, das ich schreibe und jedes Wort, das ich spreche, ein persönlicher Sieg für mich, den ich mir hart erkämpft habe und auch wenn ich weiß, dass das oft anstrengend für andere ist, wird sich daran nichts ändern: Ich schreibe sehr viel und ich spreche sehr viel, es sei denn, mir schlägt eines Tages doch mal jemand den Schädel dafür ein. Was jetzt übrigens ausdrücklich keine Aufforderung sein soll!

Späte Genugtuung

Ich war also Einkaufs-Assistentin und brachte Theos Planung ziemlich durcheinander, weil ich nur sechs Monate statt ein Jahr für die Umstrukturierung des Einkaufs benötigt hatte. Eierkopp war längst Geschichte, vorläufig erst mal ersetzt durch eine noch größere Pfeife, die ja nur überbrücken sollte, bis ich mit meinem Projekt fertig war und den Job hätte übernehmen sollen.

Man konnte das drehen und wenden wie man wollte, irgendwie war ich plötzlich über und so wurde im Einkauf kurzerhand der Azubi gestrichen, denn ich war ja jetzt zusätzlich da. Leider kam ich mit der aktuellen Einkaufsleiterin überhaupt nicht aus, was nicht daran lag, dass ich ihren Job hätte haben wollen (Karriere war noch nie mein Ziel), sondern an ihrer Art zu arbeiten.

Unsere Kellner mussten natürlich alle Getränke verbuchen, konnten sich Softdrinks aber aus einer riesigen offenen Kühlung selber nehmen und mussten entsprechend die Bons auf einen Bonspieß stechen.

Meine Einkaufsleiterin verlangte von mir, dass ich jeden Tag die Zahl der aufgespießten Bons auswertete und mit den gebuchten Softgetränken laut Kassenstreifen verglich. An sich eine prima Idee, zumindest wenn man wissen möchte, wie viele Kellner ihre Getränke zwar gebucht hatten, den Bon aber aufgegessen hatten. Meinen Vorschlag, statt dessen den Verbrauch der Softdrinks mit der Anzahl der gebuchten Softdrinks laut Kassenjournal zu vergleichen, fand sie unbrauchbar, man könne den Verbrauch an Softdrinks doch nur anhand der aufgespießten Bons ermitteln.

Ähm ... HÄ???

Ich habe mehrere Versuche gemacht, ihr das System "Anfangsbestand minus Endbestand ist gleich Verbrauch" zu erklären, aber das lag eindeutig oberhalb ihrer mathematischen Fähigkeiten und so kam es wie es kommen musste, wir hatten jeden Tag Krieg.

Theo war mehr als genervt, denn die Dame beklagte sich jeden Tag weinerlich bei ihm und er fragte schließlich, wie lange dieses "Sommertheater" noch dauern solle, so ginge das jedenfalls nicht weiter.

Ging es dann auch nicht, denn ich bekam ja sehr kurzfristig das Angebot für das neue Hotel in Weingarten am Bodensee und hatte das sehr gerne angenommen. Ursprünglich war das für sechs Wochen als Eröffungsstütze geplant gewesen, aber bald bot man mir dort den Job der Einkaufsleitung an und ich blieb direkt dort, ohne mich von Theo oder sonst wem zu verabschieden.

Ein Jahr später kam Theo nach Weingarten zur Direktoren-Sitzung, die jedes Jahr in einem anderen Mövenpick-Hotel durchgeführt wurde und in dem Jahr war Weingarten dran. Ich hatte etwas Bammel vor dem Zusammentreffen mit Theo, irgendwie war ich aber immer noch enttäuscht von ihm und unser erstes Zusammentreffen ging auch direkt schief: Ich kam gerade durch das Foyer, als Theo eincheckte, der mich sofort sah und mich erst mal anrauntze, ob es in diesem Nobelschuppen nicht mal einen Zigaretten-Automaten gäbe (das Hotel war komplett mit Domizil-Möbeln ausgestattet, was deutlich über der Standard-Ausstattung lag).

Meine Antwort war dann auch sehr ärgerlich: "Aktuell stehen Sie direkt davon. Noch einen Schritt, und Sie befinden sich bereits dahinter, aber das ist vielleicht zu schwer zu erkennen, wenn man sonst nur 0-8-15 gewöhnt ist!"

Verdammt, war das wirklich nötig gewesen? Noch dazu vor seinen Kollegen und dem Deutschland-Chef? Mein Direktor guckte mich auch total irritiert an, so kannte er mich überhaupt nicht. Menno!

Kreativ wie wir waren, gab es für die Direktoren natürlich keine langweilige Abendgala, sondern wir hatten eine Party in der Tiefgarage organisiert (die eben so edel ausgestattet war wie der Rest des Hotels) und bei jedem Gang gab es eine Showeinlage. Das Dessert war mein Part und in einer echte Müllmannskluft knatterte ich auf meinem Gabelstapler die Einfahrt hoch und servierte das Dessert auf einer Europalette, während in ohrenbetäubender Lautstärke der Song "Bruttosozialprodukt" durch die Tiefgarage schallte. Die ach so wichtigen Direktoren waren hellauf begeistert von der Party und ich wurde genötigt, meinen Gabelstapler zu parken und den Rest des Abends mit den Herren auf dem Podest mitzufeiern. Mein Direktor guckte mich schon das zweite Mal an dem Tag irritiert an, aber unser Deutschlandchef beruhigte ihn: "Ist schon ok, wir kennen Frau Kruse und lassen die jetzt nicht mehr gehen!".

Die Party war so lang wie die Nacht kurz war und am nächsten Morgen checkte eine müde, aber sehr zufriedene Gruppe von Hoteldirektoren aus. Theo bat an der Rezeption, man möge mich doch bitte verständigen, er müsse mir noch etwas sagen und als ich dann an der Rezeption eintraf, bat er seine Kollegen um Ruhe, er habe etwas mitzuteilen, sah mich an und erklärte: "Ich hatte das Privileg, Frau Kruse ausbilden zu dürfen und ihr ihren ersten festen Job anzubieten und habe dann einen der dümmsten Fehler meines Lebens gemacht: Ich habe die falsche Frau gehen lassen und dafür möchte ich mich heute entschuldigen!"

Ich weiß nicht warum, aber die Direktoren klatschten spontan Beifall, ich bekam einen roten Kopf und mein Direktor guckte schon wieder total irritiert. Ich habe ihm nie erklärt, worum es dabei überhaupt ging, aber mir hat diese -wenn auch späte- Genugtuung wirklich etwas bedeutet.

Als ich dann später nach Kassel ging (Theo war inzwischen befördert worden und damit Chef des Direktors in Kassel, womit er häufig in Kassel war), haben wir uns oft getroffen und später hat er den 50. Geburtstag meiner Mutter im Mövenpick Münster ausgerichtet, sehr viel später dann meinen eigenen 50. Geburtstag.

Nur ganz selten denke ich darüber nach, wo ich wohl heute wäre, wenn es damals dieses Sommertheater nicht gegeben hätte.

Ich weiß was ich zu tun habe, wirklich!

Es war kurz vor der Eröffnung des Mövenpick Hotels Weingarten mit angeschlossenem Kultur- und Kongresszentrum Oberschwaben und wir hatten wahrlich alle Hände voll zu tun.

Es wäre schneller gegangen, wenn unser Direktor nicht darauf bestanden hätte, jeden Tag ein Kadermeeting abzuhalten und jede Abteillung detailliert einzeln abzufragen, was sie heute macht, die letzten zehn Tage sogar zweimal täglich..

Ich hatte mich gerade mit unserem Bauleiter und dem Architekten gezankt, weil ich es irgendwie wenig witzig fand, dass man in die Wand meines Büros ein riesiges Loch gestemmt hatte, alles neu verputzt wurde, danach von beiden Seiten verglast, damit ich aus meinem Büro die Warenannahme sehen konnte, um dann eine schwere Eisentür zwischen Büro und Warenannahme zu installieren, die aus Gründen des Brandschutzes ständig geschlossen sein musste.

Noch weniger witzig fand ich die Tatsache, dass ich eine Warenannahme hatte, in die locker 20 LKWs gepasst hätten, wenn denn ein LKW reingekommen wäre, die Einfahrt war so niedrig, dass da leider, leider kein LKW reinfahren konnte, zumindest nicht ohne den Versuch, fortan einen "Kabrio-LKW" zu haben. Der gründliche Schwabe erklärte mir, dass da leider genau 17,6 cm fehlten (also so genau wollte ich es überhaupt nicht wissen) und die elektrische Hebebühne leider erst nächste Woche fertig sein würde. Na danke schön, ich würde also jede Kiste einzeln zur Laderampe in LKW-Höhe hochwuchten dürfen.

Mein Direktor hatte das mitbekommen, was ihn aber nicht daran hinderte, mich zu fragen, was denn wohl der Einkauf für heute so geplant habe. Sah ich aus, als hätte ich Langeweile??? Das vor meinem Mund war schnittfester Schaum, der war da nicht, weil ich Langeweile hatte.

Meine Antwort hat ihm wohl nicht so richtig gefallen, war aber wohl verständlich: "Mal sehen, nachdem ich die 17 Europaletten, die an der Straße stehen, in die Warenannahme geschleppt habe, packe ich die schnell ab, wuchte die die Rampe hoch und verteile den Kram lässig auf die Lager. Wie ich den Rest des Vormittags vertrödeln werde, habe ich noch nicht geplant, aber bis zum nächsten Meeting um 16 Uhr fällt mir bestimmt noch was ein auf Ihre Frage".

Er beendete umgehend das Meeting und ging stocksteif davon, offensichtlich genau so sauer wie ich.

Wie ich kurz danach feststellen durfte, war er umgehend in sein Büro gegangen, hatte seinen Designer-Anzug durch Designer-Jeans und ein Lacoste-Polohemd ausgetauscht und schleppte zähneknirschend Kisten und Kartons von den Paletten auf der Straße, nicht ohne vorher dem Architekten sehr deutlich seine Meinung mitzuteilen (die sich ungefähr mit meiner deckte) und seiner Sekretärin im Rausgehen aufgetragen zu haben, umgehend und auf der Stelle den größten und teuersten Elektro-Gabelstapler zu bestellen und einen Termin für mich für den dazu passenden Führerschein.

Nachdem wir uns beide ausreichend ausgeknurrt hatten, hatten wir noch richtig Spaß und in der Folge kam er häufiger in Designer-Jeans und Polohemd bei mir vorbei und fragte, ob er mit anpacken dürfe. Er durfte!

Wie ich durch Sturheit an ein Frühstück am Bett kam

Ich war immer noch in Weingarten, das Hotel war inzwischen erfolgreich eröffnet und die erste Inventur stand bevor.

In meinen Material-Lagern standen immer noch diverse vollbepackte Europlatten, aber bis zur Inventur würde ich das schaffen (bei Mövenpick wurde jeden Monat Inventur gemacht, bis runter zu den Papier-Tischsets, die einzeln zu zählen waren. Weingarten hatte 213.000 Papiersets, die einzeln nach Motiv sortiert, aufzunehmen waren).

Mein Direktor (früher selber mal Einkaufsleiter in Trier, da musste irgendwo ein Nest gewesen sein, der Vize war da früher auch mal Einkaufsleiter gewesen, kein Wunder, dass der Laden verkauft worden war) blickte auf die Ringe unter meinen Augen (Schlaf war uns eher theoretisch bekannt, was für eine Neueröffnung völlig normal war) und meinte, das sei viel zu viel Arbeit, er werde am übernächsten Tag die beiden Damen aus der Buchhaltung in Essen anreisen lassen, die könnten auch mal was arbeiten.

Oh mein Gott! Alles, aber nicht diese beiden vertrockneten Schachteln, die mir sowieso schon dauernd auf die Nerven gingen, aber es war hoffungslos, mein Direktor wollte mich unterstützen.

Ich schickte also meine Mitarbeiter heim, die aber merkten, dass irgendwas nicht in Ordnung war und fragten, ob sie irgendwie helfen könnten. Ja, indem sie jetzt umgehend abhauen und mich in Ruhe lassen.

Ich besorgte mir also erst mal in der Haustechnik Werkzeug und schraubte -gefühlt- mehrere Kilometer Regale zusammen und stellte sie auf. Dann machte ich mich daran, sieben Europlatten abzupacken, nicht ohne vorher die Regale zu beschriften.

Zwischendurch traf ich immer mal wieder auf einen Kaffee und eine Zigarette unseren Bankett-Leiter, der eine Großveranstaltung hatte und auch die ganze Nacht bleiben würde.

Um kurz vor fünf war ich fertig, sehr zufrieden, fegte meine Lager noch blitzeblank und stellte mitten ins das riesige Nonfood-Lager (siehe 213.000 Tischsets) ein Nichtraucherschild auf den Boden, schrieb meinem Assistenten noch kurz einen Zettel, dass er mich bitte unbedingt um acht wecken sollte und er unseren Direktor bitte informieren solle, dass die Hilfe der beiden Buchhaltungsdamen sich erübrigt habe und ging schlafen.

Geweckt wurde ich von einem Klopfen an der Tür, die kurz danach aufgeschlossen wurde (wir wohnten alle noch im Hotel und hatten alle einen Generalschlüssel).

Herein kam mein Assistent mit einem riesigen Frühstückstablett (nicht mal die obligatorische Rose in einer kleinen Vase fehlte) und stellte das auf mein Bett mit den Worten "Ich wusste nicht, ob du lieber O- oder Grapefruitsaft wolltest, also habe ich beides mitgebracht" und erzählte mir, dass unser Direktor morgens in meinem Büro vorbeigekommen war und den Zettel gesehen hatte. Danach hatte er sich die neuen Lager angesehen und die Anordnung erteilt, dass ich auf keinen Fall zu wecken sei, mir aber um 11 ein Frühstück zu servieren sei und ich den Rest des Tages Arbeitsverbot habe (wurde langsam lästig mit diesem Arbeitsverbot, ich war jung, wusste was ich wollte und war bereit, dafür einzusetzen, was nötig war um es zu bekommen).

Was ich nicht so ganz verstand, war die Tatsache, dass mein Assistent einen hochroten Kopf hatte und angesprengt an mir vorbei guckte, während er mir das erzählte.

Nun, ich hatte mich im Bett aufgerichtet und in eine halbwegs aufrechte Position gebracht, dabei aber vergessen, dass ich kein Freund von Nachthemden bin und entsprechend oben rum ausgesprochen unangezogen war.

Kann aber nicht ganz so schlimm gewesen sein, ich war 24, sehr durchtrainiert und ein paar Wochen später sind wir zusammen gezogen, das war aber, nachdem er meine Abteilung verlassen hatte und fortan nicht mehr mein Trainee, bzw. Assistent war, sondern in die Bankettabteilung gewechselt hatte.

Was ist so schwer daran, sich zu entschuldigen? Part 2

Mein Direktor war immer noch neu, immer noch Schwabe, immer noch über zwei Meter lang und seine Leitung immer noch ähnlich lang, aber er hatte mich befördert. Ab sofort war ich nicht nur Leiterin rückwärtige Bereiche, Einkauf und Controlling, sondern zusätzlich noch F&F-Assistentin, ein Titel ohne weiteren Inhalt, aber nötig, um die Gehaltserhöhung zu veranlassen, ich machte meinen Job also irgendwie richtig.

Da wir viele Großveranstaltungen hatten und uns einen Namen für kreative Ideen gemacht hatten, hatten wir im Kadermeeting die Anschaffung eines mobilen Mövenpick-Eiswagens vorgeschlagen (Kostenpunkt irgendwas um die 7.800 DM) und er hatte das rundweg abgelehnt, weil er nicht einsah, wozu eine so hohe Investition notwendig sein sollte. Trotzig hängte ich das Angebot mit hübscher Abbildung in Farbe hinter dem Schreibtisch meines (und seines) Vize-Direktors und Bankett-Managers (und mir inzwischen ein guter Freund) auf, so dass er jedes Mal, wenn er in dessen Büro ging, genau darauf guckte, das aber ignorierte (nicht nur ich konnte trotzig sein!).

Naja, Neu-Ulm halt, er hatte sich immer noch nicht an die Dimensionen unserer Großveranstaltungen gewöhnt, war mitunter aber Weltmeister, wenn es darum ging, mit einem einzigen Satz das komplette Kader schwer zu verärgern und dazu zu bringen, tagelang kein Wort mit ihm zu reden, bis auf das Nötigste halt, immerhin war er ja der Direktor, wenn auch Schwabe, neu und ... naja, hatten wir ja schon.

Ich weiß nicht mehr, mit was er mal wieder seiner kompletten Führunsgmannschaft auf die Zehen getreten war, aber es herrschte wieder eisiges Schweigen, derweil er auf der Suche nach jemandem war, der ein Feierabendbier (bzw. -weizen) mit ihm trank. Vergeblich, wir waren echt sauer.

Schließlich stampfte er durch das komplette F&B-Büro, riss das Angebot von der Wand, kritzelte mit seinem sehr teuren Füller mit echter Goldfeder "Genehmigt" und seinen Namen darauf, knallte das seinem Vize auf den Tisch und grummelte "Geht jetzt bitte jemand mit mir ein Feierabendbier trinken oder muss ich noch was genehmigen?!?"

Wir haben schallend gelacht und sind natürlich mit ihm zu seinen Lieblings-Feierabendbier-Ort (Stadthalle, Empore oberes Foyer) gegangen, wo er uns erklärte, er habe es jetzt endlich verstanden und werde sich zukünftig entschuldigen, wenn er wieder doof gewesen sei, weil das auf Dauer einfach günstiger wäre, bevor er jedem von uns einen Jaguar als Firmenwagen genehmigen müsse, schließlich würde er sich kennen, Fettnäpfchen wären sein zweites Zuhause. Hatten wir bereits bemerkt ...

Was ist so schwer daran, sich zu entschuldigen? Part 1

Wir bekamen einen neuen Direktor, unserer ging nämlich zurück in die Schweiz.

Der "Neue" war Schwabe, deutlich über zwei Meter lang und seine Leitung nicht sehr viel kürzer.

Fasching stand vor der Tür, die schwäbische Variante von Karneval und ein nationales Heiligtum. Hätte ich Karneval nicht schon immer blöd gefunden, spätestens jetzt wäre es soweit gewesen: Mützchen auf und fröhlich sein, Kampfsaufen und die Witze so lahm, dass jedes Mal eine Fanfare kam, damit man wusste, wann man lachen musste. Grässlich!

Für uns hieß das sieben Großveranstaltungen in zehn Tagen mit je etwa 7.000 Personen, ach nee, Schwaben ... äh .. Oberschwaben, noch dazu Selbstzahler, er kam aber aus Neu-Ulm, da hantierte man mit deutlich kleineren Personenzahlen.

Ich hatte schon die ersten 10 Stunden wieder hinter mir und würde natürlich bei dem Kampfeinsatz dabei sein, schließlich musste ja am Ende irgendwer die ganzen Getränkestände (siehe Selbstzahler) abrechnen und den Kellnern sagen, was sie an Umsatz abzugeben hatten, da waren also Kühlkoffer abzurechnen, Fässer und Spirituosenflaschen auszulitern und gleich für die nächste Veranstaltung alles wieder aufzufüllen.

In meinem Kühlschrank tippleten sich die Kirchenmäuse Blasen an die Füße und ich hatte nicht mal mehr Kaffee im Haus, als fuhr ich schnell einkaufen. Als ich mit meinem Päckchen Kaffee und einer Flasche Duschgel zurück kam, begrüßte mich mein Direktor mit der Frage, ob ich vielleicht einen Halbtagsjob habe, wir hätten eine Großveranstaltung vor uns und es sei bestimmt noch jede Menge zu tun.

Ich antwortete, dass ich diese Frage bitte zurückstellen wolle bis nach der Veranstaltung, die ersten 10 Stunden meines Halbtagsjobs habe ich bereits hinter mir und falls er tatsächlich ernsthaft an einer Antwort interessiert sei, möge er mich doch bitte nach der zweiten Hälfte meines Halbtagsjobs nochmal fragen, das werde so etwa morgen Mittag sein und ließ ihn kurzerhand stehen.

Irgendwann so um zwei Uhr morgens kam er mit zwei Weizenbier, einem Aschenbecher und einer Schachtel Rothändle ohne Filter an (bis auf den Aschenbecher alles murks) und wollte sich offensichtlich mit mir versöhnen. Während ich schweigend mein Weizenbier runterwügte und versuchte, nicht an der Rothändle ohne Filter zu ersticken, erklärte er mir, ich möge doch bitte in sein Büro gehen, den dritten Schrank von links öffnen und mir da etwas passendes rausnehmen.

Hm? Sonst haben wir aber keine Sorgen? Was soll`s, der Mann war mein Direktor, also ging ich brav in sein Büro und öffnete den Schrank. Dort fand ich einen Stapel Joggingsanzüge aus Fallschirmseide (nicht Plastik und von sehr guter Qualität) in verschiedenen Größen und jetzt war ich richtig sauer.

Ich nahm also den obersten raus, ging zu ihm zurück, knalle das Ding auf den Tisch und erklärte ihm:

"Wenn Sie mir einen Jogginganzug schenken möchten, dann freut mich das. Wenn Sie sich entschuldigen wollen, dann sollten Sie das tun, aber verwechseln Sie nicht das eine mit dem anderen und halten mich bitte nicht für so blöd, das eine vom anderen nicht unterscheiden zu können!" und ließ ihn das zweite Mal an diesem Tag stehen.

Er hat dann zwei Tage geschmollt und sich schließlich doch noch entschuldigt, den Jogginganzug durfte er aber trotzdem behalten. Ich ahnte nicht, dass wir kurz danach eine zweiten Zusammenstoß dieser Art haben würden, aber danach war er davon geheilt.

Schwer von Begriff

Die Eröffnung des Hotels stand unmittelbar bevor, akuter Schlafmangel war längst Normalzustand, nur dieser Mr. Wichtig, der mir ständig an den Fersen klebte, war lästig. Echt lästig!

Er war neu im Unternehmen, bekleidete eine neu geschaffene Position, hatte sein Büro in Neu-Isenburg und ich wünschte mir, er wäre dort geblieben, statt mich angeblich zu unterstützen, tatsächlich aber ständig behinderte, noch dazu in einem blütenweißen, frisch gestärkten Kittel. Der Mann hatte messerscharfe Bügelfalten in seinem weißen Arbeitskittel, das sagte an sich schon alles: Wichtig, aber total unbrauchbar und warum hatte man den ausgerechnet bei mir abgeladen?

Am Tag vor der Eröffnung hatten wir nach einem knackigen 28-Stunden-Einsatz eine achtstündige Motivationsschulung bei Frank Sessinghaus, die zwar klasse war, noch besser wäre aber Schlaf gewesen, mein komplettes Buffet war noch nicht eingerichtet und ich hatte wirklich echt zu tun, also hängte ich die Nacht gleich noch mit dran, räumte mein Buffet alleine ein und beschriftete jedes Regal, jede Ablage, jeden Schrank, verteilte Weine, Spirituosen, räumte die Eistruhe ein, verteilte Gläser, Tassen und Eisbecher und ging zufrieden duschen.

Als ich zwanzig Minuten später wieder an meinem Buffet vorbei kam, sah ich verstörte Mitarbeiter und den Weißkittel, der offensichtlich alles umräumte. Als er mich sah, winkte er mich gleich ran (wäre nicht nötig gewesen, nach einem kurzen Umweg in die Küche, wo ich mir ein großes, scharfes Messer geliehen hätte, wäre ich sowieso direkt zu ihm gegangen) und erzählte mir, dass das so ja mal überhaupt nicht ginge und drückte mir dabei eine Flasche nach der anderen in den Arm, die ich auch automatisch annahm, bis ich irgendwann nicht nur die Nase, sondern auch die Arme voll hatte, knallte das Ganze auf den Tresen und stürmte mit den Worten "Jetzt reicht's!" davon.

Mein Direktor, der das im Vorbeigehen mitbekommen hatte, direkt hinter mir her, holte mich aber erst auf meinem Zimmer ein, wo ich bereits die Hälfte meine Klamotten in einen Koffer geknallt hatte und wild entschlossen war, jetzt, sofort und auf der Stelle abzureisen.

Er fragte mich sehr vorsichtig, wie denn so die Zusammenarbeit mit Herrn Schäfer funktioniere und da ich ahnte, dass ich eine mittelschweren Tobsuchtsanfall bekommen würde, wenn ich die Wahrheit sagte, das aber immerhin mein Direktor war und ich wusste, dass Herr Schäfer superwichtig war, presste ich nur ein knappes "Bestens!" zwischen den Zähnen raus, was meinem Direktor irgendwie nicht reichte (was ich nicht sofort mitschnitt, ich war ja damit beschäftigt, wahllos Klamotten in meinen Koffer zu knallen).

Er fragte also weiter, ob Herr Schäfer mir denn eine Hilfe sei, schließlich sei er ja dafür hergekommen und ich merkte, wie meine Nackenmuskulatur anfing zu zittern, ein sicheres Zeichen dafür, dass ich sehr bald platzen und sowohl die Nerven, als auch jegliche Form von Höflichkeit verlieren würde, aber er ließ nicht locker, Runde um Runde (er fragend, ich um Höflichkeit bemüht) bis mir endgültig der Kragen platzte und ich ihm sagte, wohin ich seinen Herrn Schäfer wünschte und für was er im besten Fall geeignet war (irgendwas mit Blumenerde, Komposthaufen und Verschimmeln), was mein Direktor mit einem erleichterten "Na endlich, da warte ich schon eine ganze Woche drauf!" kommentierte und der Frage, was ich wohl meinte, wieso er den ausgerechnet mir ans Bein gebunden habe?

Ähm ... HÄ??? Ehrlich, ich war hundemüde, stinksauer, für sprachliche Feinheiten hatte ich jetzt echt keinen Sinn mehr, aber mein Direktor klappte nur meinen Koffer zu, nahm mich an der Hand und ging mit mir zu meinem Buffet und irgendjemandes Herrn Schäfer, dem er erklärte, er habe jetzt genug Unfug angestellt und könne sich umgehend auf den Heimweg machen.

Herr Schäfer hat sein tolles Büro in Neu-Isenburg übrigens nicht mehr selber ausräumen müssen, man hat ihm seinen Kram per Einschreiben in einem Karton zugeschickt und mein Direktor entschuldigte sich bei mir, ich sei aber die einzige Person, bei der er sicher war, dass die sich konkret, aber sachlich zur Unfähigkeit des Herrn Schäfer würde äußern, ich war nur zu müde gewesen, das frühzeitig zu bemerken, dabei hatte er doch ständig Andeutungen gemacht. Nachdem wir unsere Eröffnung dann doch noch über die Bühne gebracht hatten und ich 24 Stunden Arbeitsverbot mit einer Tiefschlafübung verbracht hatte, bat er mich, dauerhaft in Weingarten zu bleiben (ich war ja noch Eröffnungsstütze) und versprach, mir sowas nie wieder an zu tun (was er übrigens gehalten hat).

Grand Master of Whiskey

Mein Direktor war anstrengend!

Nicht genug mit meinem Gabelstaplerführerschein und dem Chef de Cave sollte ich jetzt auch noch an die harten Sachen ran und Grandmaster of Whiskey werden.

Damals wusste ich noch nichts über die Borgs, aber dass Wiederstand zwecklos ist, hatte ich schnell verstanden und so fand ich mich bald bei besagtem Lehrgang, umzingelt von Unmengen von hochprozentigem Alkohol und kapierte endlich, was unter "Petroleum-Note" zu verstehen war. Wer einmal einen Laphroaig probiert hat, weiß, was ich meine.

Einzig interessant fand ich die glasklare Flüssigkeit. Sollte das Zeug nicht braun sein? Während ich also tapfer probierte und das panische "STOP" eine Millisekunde zu spät kam, wechselte erst beim Referenten die Gesichtsfarbe und ganz dicht dahinter dann meine.

Was ich da so lässig auf einen Rutsch weggekippt hatte, war eine Tankprobe, also noch farblos, dafür so hochprozentig, dass mein Magen-/Darmsystem für eine Woche kurzerhand ins Vollkoma fiel und ich hatte Glück, dass ich mir keine Alkoholvergiftung eingefangen hatte. War aber eine Superdiät, nur kommt man leider als Normalsterblicher nicht an Tankproben ran.