Ich war also Einkaufs-Assistentin und brachte Theos Planung ziemlich
durcheinander, weil ich nur sechs Monate statt ein Jahr für die
Umstrukturierung des Einkaufs benötigt hatte. Eierkopp war längst Geschichte,
vorläufig erst mal ersetzt durch eine noch größere Pfeife, die ja nur
überbrücken sollte, bis ich mit meinem Projekt fertig war und den Job hätte
übernehmen sollen.
Man konnte das drehen und wenden wie man wollte, irgendwie war ich plötzlich
über und so wurde im Einkauf kurzerhand der Azubi gestrichen, denn ich war ja
jetzt zusätzlich da. Leider kam ich mit der aktuellen Einkaufsleiterin überhaupt
nicht aus, was nicht daran lag, dass ich ihren Job hätte haben wollen (Karriere
war noch nie mein Ziel), sondern an ihrer Art zu arbeiten.
Unsere Kellner mussten natürlich alle Getränke verbuchen, konnten sich
Softdrinks aber aus einer riesigen offenen Kühlung selber nehmen und mussten
entsprechend die Bons auf einen Bonspieß stechen.
Meine Einkaufsleiterin verlangte von mir, dass ich jeden Tag die Zahl der
aufgespießten Bons auswertete und mit den gebuchten Softgetränken laut
Kassenstreifen verglich. An sich eine prima Idee, zumindest wenn man wissen
möchte, wie viele Kellner ihre Getränke zwar gebucht hatten, den Bon aber
aufgegessen hatten. Meinen Vorschlag, statt dessen den Verbrauch der Softdrinks
mit der Anzahl der gebuchten Softdrinks laut Kassenjournal zu vergleichen, fand
sie unbrauchbar, man könne den Verbrauch an Softdrinks doch nur anhand der
aufgespießten Bons ermitteln.
Ähm ... HÄ???
Ich habe mehrere Versuche gemacht, ihr das System "Anfangsbestand minus
Endbestand ist gleich Verbrauch" zu erklären, aber das lag eindeutig
oberhalb ihrer mathematischen Fähigkeiten und so kam es wie es kommen musste,
wir hatten jeden Tag Krieg.
Theo war mehr als genervt, denn die Dame beklagte sich jeden Tag weinerlich
bei ihm und er fragte schließlich, wie lange dieses "Sommertheater"
noch dauern solle, so ginge das jedenfalls nicht weiter.
Ging es dann auch nicht, denn ich bekam ja sehr kurzfristig das Angebot für
das neue Hotel in Weingarten am Bodensee und hatte das sehr gerne angenommen.
Ursprünglich war das für sechs Wochen als Eröffungsstütze geplant gewesen, aber
bald bot man mir dort den Job der Einkaufsleitung an und ich blieb direkt dort,
ohne mich von Theo oder sonst wem zu verabschieden.
Ein Jahr später kam Theo nach Weingarten zur Direktoren-Sitzung, die jedes
Jahr in einem anderen Mövenpick-Hotel durchgeführt wurde und in dem Jahr war
Weingarten dran. Ich hatte etwas Bammel vor dem Zusammentreffen mit Theo,
irgendwie war ich aber immer noch enttäuscht von ihm und unser erstes
Zusammentreffen ging auch direkt schief: Ich kam gerade durch das Foyer, als
Theo eincheckte, der mich sofort sah und mich erst mal anrauntze, ob es in
diesem Nobelschuppen nicht mal einen Zigaretten-Automaten gäbe (das Hotel war
komplett mit Domizil-Möbeln ausgestattet, was deutlich über der
Standard-Ausstattung lag).
Meine Antwort war dann auch sehr ärgerlich: "Aktuell stehen Sie direkt
davon. Noch einen Schritt, und Sie befinden sich bereits dahinter, aber das ist
vielleicht zu schwer zu erkennen, wenn man sonst nur 0-8-15 gewöhnt ist!"
Verdammt, war das wirklich nötig gewesen? Noch dazu vor seinen Kollegen und
dem Deutschland-Chef? Mein Direktor guckte mich auch total irritiert an, so
kannte er mich überhaupt nicht. Menno!
Kreativ wie wir waren, gab es für die Direktoren natürlich keine langweilige
Abendgala, sondern wir hatten eine Party in der Tiefgarage organisiert (die
eben so edel ausgestattet war wie der Rest des Hotels) und bei jedem Gang gab
es eine Showeinlage. Das Dessert war mein Part und in einer echte Müllmannskluft
knatterte ich auf meinem Gabelstapler die Einfahrt hoch und servierte das
Dessert auf einer Europalette, während in ohrenbetäubender Lautstärke der Song
"Bruttosozialprodukt" durch die Tiefgarage schallte. Die ach so
wichtigen Direktoren waren hellauf begeistert von der Party und ich wurde
genötigt, meinen Gabelstapler zu parken und den Rest des Abends mit den Herren
auf dem Podest mitzufeiern. Mein Direktor guckte mich schon das zweite Mal an
dem Tag irritiert an, aber unser Deutschlandchef beruhigte ihn: "Ist schon
ok, wir kennen Frau Kruse und lassen die jetzt nicht mehr gehen!".
Die Party war so lang wie die Nacht kurz war und am nächsten Morgen checkte
eine müde, aber sehr zufriedene Gruppe von Hoteldirektoren aus. Theo bat an der
Rezeption, man möge mich doch bitte verständigen, er müsse mir noch etwas sagen
und als ich dann an der Rezeption eintraf, bat er seine Kollegen um Ruhe, er
habe etwas mitzuteilen, sah mich an und erklärte: "Ich hatte das Privileg,
Frau Kruse ausbilden zu dürfen und ihr ihren ersten festen Job anzubieten und
habe dann einen der dümmsten Fehler meines Lebens gemacht: Ich habe die falsche
Frau gehen lassen und dafür möchte ich mich heute entschuldigen!"
Ich weiß nicht warum, aber die Direktoren klatschten spontan Beifall, ich bekam
einen roten Kopf und mein Direktor guckte schon wieder total irritiert. Ich
habe ihm nie erklärt, worum es dabei überhaupt ging, aber mir hat diese -wenn
auch späte- Genugtuung wirklich etwas bedeutet.
Als ich dann später nach Kassel ging (Theo war inzwischen befördert worden
und damit Chef des Direktors in Kassel, womit er häufig in Kassel war), haben
wir uns oft getroffen und später hat er den 50. Geburtstag meiner Mutter im
Mövenpick Münster ausgerichtet, sehr viel später dann meinen eigenen 50. Geburtstag.
Nur ganz selten denke ich darüber nach, wo ich wohl heute wäre, wenn es
damals dieses Sommertheater nicht gegeben hätte.