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Mein Auszug von Zuhause

Mir gefiel es Zuhause im Hotel Mama und ich sah wenig Veranlassung, da weg zu gehen und so war ich bereits 24, als ich endlich den Absprung machte, das dann aber ziemlich abrupt.

An meinem einzigen freien Tag in der Woche rief mich in aller Hergottsfrühe ein Kollege aus dem Hotel an, der einige Wochen bei mir in Münster zur Einarbeitung gewesen war, um anschließend als Trainee ins neu zu eröffnende Mövenpick Hotel Weingarten zu gehen und fragte mich, ob ich kurzfristig Interesse habe, als Voreröffnungsstütze für sechs Wochen nach Weingarten zu gehen. Hm, ja, hatte ich.

Zehn Minuten später rief mich mein Direktor an, der Direktor von Weingarten habe angefragt, ob er mich für sechs Wochen als Eröffnungsspitze haben könne. Das sei eine Ehre, weil nur wirklich gute Leute als Eröffnungsstütze genommen werden und außerdem sei da der beste Einkäufer, den das Unternehmen jemals gehabt hatte und von dem könne ich jede Menge lernen. Ich tat ausreichend überrascht und sagte zu.

Weitere fünf Minuten später rief mich der Direktor von Weingarten an und fragte mich, wo ich denn sei, ob ich schon am Bahnhof wäre (sollte ein Scherz sein). Ich sollte bitte mitteilen, wann mein Zug eintrifft, man würde mich dann am Bahnhof abholen.

Es war 08:30 Uhr und ich hatte auf der Bettkante schon mit zwei Direktoren telefoniert, also beschloss ich, dass ich mir jetzt doch mal etwas anziehen sollte.

Meine Mutter hat noch heute den Zettel, den sie mittags an der Tür fand:

"Alles Gute zum Geburtstag, bin für sechs Wochen in Weingarten (Bodensee), melde mich. Hab Dich lieb!"

Meine Mutter ahnte es sofort, ich erst viel später: Das war mein Auszug von Zuhause und ist jetzt 31 Jahre her. Zeit, wieder nach Hause zu kommen!

Mit Sondergenehmigung zum Abi

Schule machte immer noch Spaß, nur fehlte mir zunehmend die Zeit dafür, was daran lag, dass ich herausgefunden hatte, dass es sowas wie ein Berufsleben gab, wo man auch viel Spaß haben konnte und dafür sogar noch Geld bekam.

Durch phantasievolle Verkettung mehrerer Verträge über Aushilfsjobs, hatte ich durch das Mövenpick-Hotel Münster ein durchschnittliches, monatliches Einkommen von deutlich über 1.000 DM und turnte fröhlich durch sechs verschiedene Abteilungen als Aushilfe. Nicht schlecht als Taschengeld, noch dazu bekam ich ja von Zuhause auch noch ein Taschengeld, wobei ich mich immer fragte, wozu das gut sein sollte, wurden doch alle meine Kosten -einschließlich Auto, Benzin, Steuer, Versicherung und was man sonst an Autokosten hat- von meiner Mutter getragen.

Wenn meine Lehrer mich wirklich mal dringend sehen wollten, kamen sie ins Mövenpick und informierten mich rechtzeitig über anstehende schriftliche Prüfungen oder übergaben mir die Themen für ein Referat, das ich zu halten hatte, zu denen ich auch immer pünktlich erschien.

Alles in allem eine gelungene Vereinbarung, die direkt vor dem Abitur knallhart schief ging:

Kurz vor Weihnachten hatte ich einen schweren Verkehrsunfall (natürlich auf dem Weg zum Mövenpick) und lag ziemlich lange auf der Intensivstation wegen schwerer Kopfverletzungen, an denen zu sterben ich mich hartnäckig weigerte.

Kaum war ich endlich von der Intensivstation, besuchte mich mein Konrektor im Krankenhaus, um mir meine weiteren Alternativen aufzuzeigen und um eine Entscheidung zu bitten. Um einen Kurs fürs Abi angerechnet zu bekommen, musste man eine bestimmte Anzahl der gegebenen(!!!) Stunden anwesend gewesen sein, waren das weniger als 75%, war eine Prüfung fällig, ab nur 50% wurde der Kurs nicht angerechnet. Während ich im Krankenhaus rumgetrödelt hatte, hatte ich die Vorklausuren verpasst und lag in allen Kursen bei deutlich unter 50% und hatte damit keine Zulassung zum Abitur. Blöd irgendwie!

Mein Konrektor erklärte mir, dass es meinetwegen eine Lehrerkonferenz mit anschließender Anfrage beim Kultusminister gegeben hatte und ich konnte mir jetzt aussuchen, ob ich ein Jahr später mein Abi machen wollte, oder mit Sondergenehmigung vom Kultusminister dieses Jahr, dann aber in jedem Fach eine Prüfung ablegen musste plus Nachschreiben der Vorklausuren.

Zeit ist Geld, also entschied ich mich für dieses Jahr und als ich dann endlich wieder in der Schule war, bekam ich einen Plan, wann wo welche Prüfung zu absolvieren war. Da das pro Woche bis zu fünf Prüfungen waren, hielt ich mich nicht weiter mit Lernen auf (war ja sowieso noch nie mein Ding gewesen) und ging am Ende nur noch mit der Frage "Mündlich oder schriftlich und welches Fach?" in meine Prüfungen.

Verdient hatte ich das sicher nicht, aber ich machte mein Abitur dann doch in dem Jahr, wenn auch nicht mit den Noten, die man von mir gewöhnt war und ganz ehrlich, mich hat nie jemand gefragt, mit welcher Note ich mein Abi gemacht hatte, gefragt wurde nur, ob ich das Ding hatte und das hatte ich, Dank sehr freundlicher Lehrer.

Der Deal gegen Langeweile in der Schule

An sich ging ich ja gerne zur Schule, aber streckenweise Langeweile führten dazu, dass ich da zunehmend seltener hin ging (obwohl ich ja sogar inzwischen einen gesicherten Parkplatz hatte).

Lernen -speziell auswendig lernen- war noch nie mein Ding gewesen, denn entweder hatte ich etwas verstanden, dann musste ich nicht mehr lernen, oder ich hatte es nicht verstanden, dann nutze mir auch (auswendig)lernen nichts und zum Glück verstand ich eine ganze Menge, was Schule teilweise ebenso langweilig wie frustrierend machte:

Keine Ahnung, was meine Lehrer da falsch verstanden hatten, aber es nutze ziemlich wenig, sich zu melden, am liebsten stellten Lehrer komische Fragen, um dann knallhart von den Schülern eine Antwort dazu zu verlangen, die sich ausgerechnet nicht gemeldet hatten, was ich auf Dauer echt nervig fand. Wenn Aufpassen ja doch nichts brachte, konnte ich mich genauso gut mit was anderem beschäftigen und so rutschte ich in einem Halbjahr von einer 1+ in Deutsch auf eine glatte 4 und wurde beim Konrektor vorgeladen (wir hatten eine Rektorin, die hatte aber nichts zu melden, die Autorität war eindeutig der Konrektor)

Nachdem wir schnell geklärt hatten, woran es lag, trafen wir eine Vereinbarung:

Ab sofort musste ich mich nicht mehr melden und bekam trotzdem meine Eins, wenn sich aber auf eine Frage so überhaupt niemand mit der richtigen Antwort fand, wurde ich angesprochen und hatte die richtige Antwort zu geben.

Hat prima funktioniert, außer in Mathe, da hatte ich nämlich echt keine Ahnung und lebte vom Vorurteil meines Lehrers, der absolut davon überzeugt war, dass ich alles konnte und einfach nur zu faul war. Meine Begeisterung für Zahlen entwickelte sich erst viel später, ist mir aber bis heute geblieben, zusammen mit der Überzeugung: "Zahlen sagen mehr als tausend Worte!".

Gefährdeter Schulabschluss durch Parkplatzprobleme

Nach ereignisreichen vier Jahren auf der Grundschule begann mal wieder "Der Ernst des Leben", diesmal in Form des Besuchs des Gymnasiums.

Da ich Mädchen immer noch doof fand, versprach der Besuch ausgerechnet eines Mädchen-Gymnasiums, echt anstrengend zu werden, was aber durch die Qualität des Lehrerkollegiums mehr als ausgeglichen wurde: Eine sehr gesunde Mischung aus überwiegend Doktoren und Professoren, deren geistige Verknöcherung durch eine gesunde Anzahl sehr junger, motivierter und teilweise echt alternativer Lehrer erfolgreich verhindert wurde, kurz: Ich ging da wirklich gerne hin.

Bis zur Oberstufe war das soweit unproblematisch, dann begannen Parkplatzprobleme meinen weiteren schulischen Werdegang ernsthaft zu gefährden, es gab nämlich keine, zumindest 3x im Jahr, wenn Kirmes war (in Münster heißt das "Send") und der Hindenburgplatz sich von einem riesigen (kostenlosen!) Parkplatz in eine ebenso riesige Parkverbotszone verwandelte.

Irgendwann fiel einem meiner Lehrer auf, dass die Dichte meiner Anwesenheit sich immer dann stark reduzierte, wenn Send war und so fragte er mich, ob es da einen Zusammenhang gäbe. Und ob es den gab!

Ich erklärte ihm, dass er sich keine Sorgen machen müssen, dass ich da vielleicht als Schießbudenfigur mein Taschengeld aufbessern würde, es lag schlicht daran, dass ich keinen Parkplatz finden könne und an solchen Tagen die Entscheidung "Rechts geht's in die Schule, links in die Stadt", regelmäßig mit "links" ausging, also mehr aus höherer Gewalt denn aus Desinteresse.

Gottlob war es mein Konrektor, der mich da angesprochen hatte und so erhielt ich umgehend einen Schlüssel für das Tor zum Lehrerparkplatz und eine Fußnote in der Geschichte der Schule, ich war und bliebt bis zur Schließung des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Münster die einzige Schülerin, der dieses Privileg zuteilwurde.

Und bevor der geneigte Leser komische Ideen hat: Ich hatte mit der Schließung der Schule wirklich nichts zu tun, zu der Zeit war ich nicht mal mehr in Münster sondern 800 km weit entfernt am Bodensee!

Strategische Umwege auf dem ersten Bildungsweg

Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich aus einer Mischung aus Langeweile und Ahnungslosigkeit Abitur gemacht, ich wusste nämlich nach der zehnten Klasse nicht, was ich denn wohl mal würde weden wollen (tatsächlich hatte sich das nach der dreizehnten Klasse nicht geändert, aber das wusste ich ja noch nicht), also blieb ich halt weiter auf der Schule, an die ich mich inzwischen leidlich gewöhnt hatte.

In NRW waren damals alle  Fächer in vier Gruppen eingeteilt und mit den vier Abiturfächern mussten drei davon abgedeckt werden. Kein Problem: Mathe, Deutsch, Englisch und weil ich ja auch etwas Spaß haben wollte, wählte ich Pädagogik dazu.

Deutsch-Leistungskurs habe ich genau eine Doppelstunde ausgehalten, danach war ich satt: Da saßen alle, aber wirklich alle "Müslis", der halbe Raum war gefüllt mit Negativbeispielen der Folge antiautoritärer Erziehung, jede Dritte war in einen lila gefärbten Schal gewickelt, es stank nach Patschuli und mein "Lieblings-Müsli" hatte mich schon an der Tür begrüßt mit den Worten "Ey Du, das finde ich wirklich gut, dass Du auch hier bist, das gibt mir ein wirklich gutes Gefühl, dass wir die negativen Stimmungen zwischen uns in Ruhe ausdiskutieren können." und die deutsche Edda im Original zu lesen, war auch nicht wirklich spannend (mir reichte schon, nebenan Shakespeares Gedichte in Alt-Englisch lesen zu müssen).

Nach dieser grauenhaften Doppelstunde (ich hatte ständig Angst, dass die sich alle auf den Boden setzen, Räucherstäbchen anzünden und bei einer Kanne Tee indische Harmonieglöckchen läuten würden), ging ich also zu meinem Lehrer, Herrn Duwenig, und erklärte ihm, dass ich das auf keinen Fall drei Jahre aushalten werde und bitte den Kurs wechseln möchte. Mit einem tiefen Seufzen und Blick in die Runde sprach er mir sein Verständnis und seine Zustimmung aus, sofern ich einen Kollegen fände, der diesem Wechsel zustimme und mich in seinen Kurs aufnähme.

Kollegen zu finden, die mich jetzt noch in ihren Kurs aufnahmen war unproblematisch, problematisch war das Kursraster. Einfach nur den Leistungskurs zu wechseln hätte dazu geführt, dass ich in fast allen Fächern die Lehrer gewechselt hätte, die ich mir doch sehr sorgfältig ausgesucht hatte.

Am Ende blieb nur eine Möglichkeit, meine Wunschlehrer zu erzwingen: Ich musste Philosophie und Religion als schriftliche Fächer wählen.

Wer also von meinem pseudo-tiefgründigem, ebenso langatmigem wie haltlosem Gequatsche genervt ist, möge sich bitte bei den Mülis der Oberstufe bedanken, intensive Beschäftigung mit Religion und Philosophie hinterlassen lebenslange Spuren, das bekommt man nie wieder weg!