Schwer von Begriff
Die Eröffnung des Hotels stand unmittelbar bevor, akuter Schlafmangel war längst Normalzustand, nur dieser Mr. Wichtig, der mir ständig an den Fersen klebte, war lästig. Echt lästig!
Er war neu im Unternehmen, bekleidete eine neu geschaffene Position, hatte sein Büro in Neu-Isenburg und ich wünschte mir, er wäre dort geblieben, statt mich angeblich zu unterstützen, tatsächlich aber ständig behinderte, noch dazu in einem blütenweißen, frisch gestärkten Kittel. Der Mann hatte messerscharfe Bügelfalten in seinem weißen Arbeitskittel, das sagte an sich schon alles: Wichtig, aber total unbrauchbar und warum hatte man den ausgerechnet bei mir abgeladen?
Am Tag vor der Eröffnung hatten wir nach einem knackigen 28-Stunden-Einsatz eine achtstündige Motivationsschulung bei Frank Sessinghaus, die zwar klasse war, noch besser wäre aber Schlaf gewesen, mein komplettes Buffet war noch nicht eingerichtet und ich hatte wirklich echt zu tun, also hängte ich die Nacht gleich noch mit dran, räumte mein Buffet alleine ein und beschriftete jedes Regal, jede Ablage, jeden Schrank, verteilte Weine, Spirituosen, räumte die Eistruhe ein, verteilte Gläser, Tassen und Eisbecher und ging zufrieden duschen.
Als ich zwanzig Minuten später wieder an meinem Buffet vorbei kam, sah ich verstörte Mitarbeiter und den Weißkittel, der offensichtlich alles umräumte. Als er mich sah, winkte er mich gleich ran (wäre nicht nötig gewesen, nach einem kurzen Umweg in die Küche, wo ich mir ein großes, scharfes Messer geliehen hätte, wäre ich sowieso direkt zu ihm gegangen) und erzählte mir, dass das so ja mal überhaupt nicht ginge und drückte mir dabei eine Flasche nach der anderen in den Arm, die ich auch automatisch annahm, bis ich irgendwann nicht nur die Nase, sondern auch die Arme voll hatte, knallte das Ganze auf den Tresen und stürmte mit den Worten "Jetzt reicht's!" davon.
Mein Direktor, der das im Vorbeigehen mitbekommen hatte, direkt hinter mir her, holte mich aber erst auf meinem Zimmer ein, wo ich bereits die Hälfte meine Klamotten in einen Koffer geknallt hatte und wild entschlossen war, jetzt, sofort und auf der Stelle abzureisen.
Er fragte mich sehr vorsichtig, wie denn so die Zusammenarbeit mit Herrn Schäfer funktioniere und da ich ahnte, dass ich eine mittelschweren Tobsuchtsanfall bekommen würde, wenn ich die Wahrheit sagte, das aber immerhin mein Direktor war und ich wusste, dass Herr Schäfer superwichtig war, presste ich nur ein knappes "Bestens!" zwischen den Zähnen raus, was meinem Direktor irgendwie nicht reichte (was ich nicht sofort mitschnitt, ich war ja damit beschäftigt, wahllos Klamotten in meinen Koffer zu knallen).
Er fragte also weiter, ob Herr Schäfer mir denn eine Hilfe sei, schließlich sei er ja dafür hergekommen und ich merkte, wie meine Nackenmuskulatur anfing zu zittern, ein sicheres Zeichen dafür, dass ich sehr bald platzen und sowohl die Nerven, als auch jegliche Form von Höflichkeit verlieren würde, aber er ließ nicht locker, Runde um Runde (er fragend, ich um Höflichkeit bemüht) bis mir endgültig der Kragen platzte und ich ihm sagte, wohin ich seinen Herrn Schäfer wünschte und für was er im besten Fall geeignet war (irgendwas mit Blumenerde, Komposthaufen und Verschimmeln), was mein Direktor mit einem erleichterten "Na endlich, da warte ich schon eine ganze Woche drauf!" kommentierte und der Frage, was ich wohl meinte, wieso er den ausgerechnet mir ans Bein gebunden habe?
Ähm ... HÄ??? Ehrlich, ich war hundemüde, stinksauer, für sprachliche Feinheiten hatte ich jetzt echt keinen Sinn mehr, aber mein Direktor klappte nur meinen Koffer zu, nahm mich an der Hand und ging mit mir zu meinem Buffet und irgendjemandes Herrn Schäfer, dem er erklärte, er habe jetzt genug Unfug angestellt und könne sich umgehend auf den Heimweg machen.
Herr Schäfer hat sein tolles Büro in Neu-Isenburg übrigens nicht mehr selber ausräumen müssen, man hat ihm seinen Kram per Einschreiben in einem Karton zugeschickt und mein Direktor entschuldigte sich bei mir, ich sei aber die einzige Person, bei der er sicher war, dass die sich konkret, aber sachlich zur Unfähigkeit des Herrn Schäfer würde äußern, ich war nur zu müde gewesen, das frühzeitig zu bemerken, dabei hatte er doch ständig Andeutungen gemacht. Nachdem wir unsere Eröffnung dann doch noch über die Bühne gebracht hatten und ich 24 Stunden Arbeitsverbot mit einer Tiefschlafübung verbracht hatte, bat er mich, dauerhaft in Weingarten zu bleiben (ich war ja noch Eröffnungsstütze) und versprach, mir sowas nie wieder an zu tun (was er übrigens gehalten hat).
Trackbacks
Die Kommentarfunktion wurde vom Besitzer dieses Blogs in diesem Eintrag deaktiviert.
Kommentare
Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt