Werte
Die Frage nach Werten in der heutigen Zeit hört man immer öfter und fast immer in Zusammenhang mit der Frage, wer die festzulegen habe und wann.
Tja, wie war das bei mir? Und wann?
Im Gegensatz zu meiner Schwester, die sich kaum an unsere Kindheit erinnert (sie behauptet, sie sei mit etwa 12 Jahren fertig vom Baum gefallen), erinnere ich mich sogar noch an die Zeit, als ich noch im Gitterbettchen lag und spätestens da begann meiner Mutter bei mir mit der Vermittlung von Werten:
Es gab bei uns nie so was wie ein Nachtlicht gegen Angst vor der Dunkelheit, dafür gab es etwas anderes: Sicherheit!
Über meinem Gitterbettchen (übrigens ein elegantes Modell in elfenbeinfarbenem, glatt poliertem Holz, wohingegen das meiner Schwester in gewöhnlichem mittelbraunem, einfach lackiertem Holz war), war eine Wandlampe mit einem Zugschalter. An diesen Zugschalter war eine lange Schnur mit bunten Holzkugeln geknotet, die in meinem Bettchen lag. Sollte ich nachts aufwachen und mich im Dunkeln fürchten, hätte ich nur an der Schnur ziehen müssen und das Licht wäre angegangen. Wir hatten das ein paar Mal probiert, ich wusste, dass es funktioniert und fühlte mich sicher, also brauchte ich es nicht.
In einer Nacht half aber auch Licht nicht, ich weinte und weinte und war nicht zu beruhigen. Meine Mutter hatte mich bereits aus dem Bett geholt (vermutlich vorher ich sie *g*) und trug mich durch die Gegend, aber auch das half nicht. Ich weinte, als wolle ich nie wieder damit aufhören.
Schließlich ging sie mit mir zu unserem Vorratsschrank, öffnete ihn und entnahm ihm eine "einfache" Rolle Toilettenpapier. Diese Rolle Toilettenpapier, so erklärte sie mir, sei ganz alleine meine Rolle und niemand auf der Welt außer mir, dürfe sie benutzen, es sei denn, ich würde es ausdrücklich erlauben. Und weil das meine Rolle sei und ich etwas ganz Besonderes, sei jetzt auch diese Rolle etwas ganz Besonderes und ich solle gut darauf aufpassen!
Damit legte sie mich in mein Bettchen zurück (die Rolle hielt ich fest umklammert) und ich vermute, noch bevor mein Kopf das Kissen berührte, war ich bereits wieder eingeschlafen, selig in meiner ganzen Besonderheit.
Meine Mutter hat immer behauptet, das sei die Lektion gewesen, in der ich gelernt habe, dass man Leute auch mit kleinen Dingen glücklich machen kann, ich hingegen vermute, dass in dieser Nacht die Basis für meinen Größenwahn gelegt wurde! (der nächste Tag war dann übrigens die Basis für die dazugehörige Großzügigkeit, denn völlig selbstlos bot ich meiner Schwester an, von meiner Rolle soviel haben zu dürfen, wie sie haben mochte und das war ein echtes Wunder, wir konnten uns nämlich nicht ausstehen. Damals! Heute liebe ich sie heiß und innig!).
Leider weiß ich nicht mehr, was aus dieser so besonderen Rolle Toilettenpapier geworden ist und auch meine Mutter kann sich an deren weiteren Verbleib nicht erinnern, aber sie hat uns gute Dienste geleistet.
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