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Mein Wille geschehe!

Es gibt eine ganze Menge Menschen, die behaupten, ich sei eigenwillig und sie haben einfach nur Recht!

Schon früh hatte man mir beigebracht, dass es gesellschaftliche Konventionen gab, Anforderungen, die "man" an mich stellen würde (die Zusatzfrage, wer "man" denn überhaupt sei), Erwartungen und Pflichten, die mir von außen auferlegt wurden.

Gleichzeitig wurde mir beigebracht, dass ich einen freien Willen habe und es ganz alleine meine Entscheidung sei, wie weit ich diesen Anforderungen nachgebe und diese Entscheidung sei jeden Tag neu zu treffen.

Prima Sache, die nur einen klitzekleinen Haken hatte: Ich sollte mir immer darüber im Klaren sein, welche Konsequenzen das haben würde, die gestellten Anforderungen nicht zu erfüllen und jederzeit bereit sein, die Konsequenzen dafür zu tragen.

Und noch etwas brachte man mir bei: Es gab immer einen leichten und einen schweren Weg. Sobald ich mich damit auseinandergesetzt und meine Entscheidung getroffen hatten, gab es noch etwas: MEINEN Weg!

Leicht ist das nicht, aber ich gehe ihn immer noch und rechne nicht damit, dass sich daran noch was ändern wird.

Zerstörter Kinderglaube

Bis ich in den Kindergarten kam, glaubte ich nicht nur, dass Erwachsene das sind, woran man fest glauben und woran man sich orientieren kann, nein, ich wußte es! Und ich glaube, bis dahin war ich auch ziemlich naiv.

Jede Woche waren pro Kind im Kindergarten 5 DM für Mittagessen zu bezahlen und da meine Mutter wußte, dass ich immer ziemlich beschäftigt mit meiner eigenen Welt war, gab sie meine 5 DM lieber meiner Schwester, die war nämlich immer artig und tat, was man ihr sagte.
Eines Tages aber übergab sie mir die heiligen 5 DM und gab mir den Auftrag, gut darauf aufzupassen und sie Schwester Tadea (das war die leitende Nonne im Kindergarten und zu der Zeit die zweitwichtigste Instanz in meinem Leben -direkt nach meiner Mutter also) zu übergeben. Es folgte noch die Erklärung, was Verantwortung sei und so trug ich also beides zum Kindergarten: Die 5 DM und die Verantwortung dafür.

Vermutlich wäre nichts passiert, wenn nicht ausgerechnet an dem Tag Schwester Tadea einen Termin gehabt hätte und erst später gekommen wäre, denn so konnte ich mich meiner Verantwortung nicht schnell entledigen und trug den halben Vormittag ziemlich schwer daran. Meine Kindergartentante hatte ich natürlich sofort über diese wichtige Aufgabe informiert und auch sie bestätigte, dass ich gut aufpassen müsse!

Etwa zwei Stunden später (Schwester Tadea war immer noch nicht da), sagte meine Kindergartentante, ich solle ihr doch bitte mal meine 5 DM geben, was ich natürlich tat. Sie war den Vormittag damit beschäftigt gewesen, aus einer Kokosnuß ein Sparschwein zu machen. Da sollten Spenden für die armen Kinder in Afrika rein und sie mühte sich mit dem Schlitz ab. Ausführlich hatte sie uns erklärt, wie es den Kindern in Afrika geht, dass sie hungen müssen und dass Spenden etwas sei, das ebenso löblich wie freiwillig sei.

Und dann passierte das Furchtbare: Meine Kindergartentante stecke meine 5 DM in diese Spenden-Kokosnuß!

Von wegen freiwillig, von wegen vertrauensvolle Kindergartentante! Die kassierte erst meine 5 DM, dann das Lob für die Spende und ich würde die Probleme haben, denn wie sollte ich denn jetzt erklären, wo die 5 DM geblieben waren? Ich hatte die abgeben, nicht spenden sollen!

Ich brach in Tränen aus und war nicht zu beruhigen, bis Schwester Tadea eintraf, die mich sofort auf den Arm nahm und sich erzählen ließ, was denn passiert sei. Schluchzend erzählte ich ihr, wie das mit der Verantwortung und dem Spenden gewesen sei und meine Mutter jetzt bestimmt furchtbar enttäuscht sei und überhaupt, dass ich nie, nie wieder mit dieser Kindergartentante reden wollte.

Die Kindergartentante versucht, das alles zu erklären und zeigte mir meine 5 DM, sie habe doch nur probieren wollen, ob der Schlitz groß genug sei und das Sparschwein doch unten noch offen sei, es wäre also überhaupt nichts passiert und das täte ihr auch alles sehr leid, aber es half nichts, denn dann machte sie gleich den nächsten Fehler: Sie nahm meine 5 DM und gab sie Schwester Tadea, dabei war das doch meine und nur meine Aufgabe.

Schwester Tadea erkannte das sofort, gab ihr das Geldstück zurück und erklärte, das gehöre ja wohl mir, also müsse sie es mir zurückgeben und dann endlich konnte ich die heiligen 5 DM an Schwester Tadea übergeben und die Welt war soweit erst mal wieder in Ordnung.

Nur das mit der Kindergartentante kam nie wieder in Ordnung, denn fortan weigerte ich mich, auch nur ein einziges Wort mit ihr zu reden und nach drei -sehr schweigsamen- Wochen entschied Schwester Tadea schließlich, dass ich in eine andere Kindergartengruppe zu einer anderen Kindergartentante kam.

Bis heute habe ich zwar ein recht lässiges Verhältnis zu eigenem Geld, bin aber ausgesprochen pingelig mit fremdem Geld und dafür sollte ich ihr vielleicht dankbar sein, aber ich kann sie immer noch nicht leiden und daran wird sich nie, niemals etwas ändern!

Gut gemeint ist nicht automatisch auch gut gemacht

Meine Großmutter war schon eine beeindruckende Frau.

Ursprünglich Wienerin (was etwas völlig anderes ist als etwa "Österreicherin", wie ich früh lernte, wobei mir nie klar war, wo da jetzt der Unterschied ist), war sie als Architektin nach Deutschland gekommen und zu ihrer Zeit eine recht bekannte Künstlerin, die auch im Ausland große Ausstellungen hatte, was für eine Frau schon ziemlich beeindruckend war.

Sehr früh stellte sie fest, dass sie mit dem politischen Regime so überhaupt nicht einverstanden war und wie die Frauen unserer Familie nun mal so sind, tat sie das nicht gerade heimlich oder leise. Eine Zeit lang schützte sie der Umstand, dass sie mit einem hohen Offizier verheiratet war (nur eine ihrer sieben Ehen), den hatte sie aber längst verlassen, genau wegen seiner politischen Gesinnung. Auf Dauer wurde das dann aber doch etwas gefährlich und so beschlossen die Amerikaner 1943, sie auszufliegen und in Sicherheit zu bringen. Ihr gesamtes Hab und Gut wurde in einem Eisenbahnwaggon eingelagert und verplompt und stand bis Kriegsende auf einem Abstellgleis unter amerikanischer Aufsicht (wo sie übrigens nach Kriegsende alles in genau dem Zustand wieder abholen konnte), sie selber und meine Mutter (damals 3 Jahre alt), wurden auf den Kranzberg gebracht. Landschaftlich ziemlich hübsch, ansonsten mehr als abgelegen und den Großteil des Jahres war sie auf sich alleine gestellt, besonders im Winter, denn da war der Kranzberg zugeschneit und nicht mehr zu erreichen. Immerhin sicher war es dort! (Im ersten Winter sah meine Großmutter sich übrigens gezwungen, entweder zu erfrieren, oder alleine einen Baum zu fällen. Sie entschied sich für, bzw. gegen den Baum, denn der war ja anschließend tot, weil gefällt.)

Alles, was irgendwie mit Nachschub zu tun hatte, war eine ziemlich schwierige Angelegenheit und so war es für meine Großmutter ein riesiges Geschenk, als sie aus Schweden echte Fuchshaarpinsel bekam, als Künstlerin brauchte sie Material, nur die Beschaffung war inzwischen praktisch unmöglich geworden, noch dazu auf dem Kranzberg.

Leider hatte sie nicht damit gerechnet, dass meine Mutter ihr etwas Gutes tun wollte, die sah nämlich die Pinsel (derweil meine Großmutter mal wieder im Wald an ihrem Baum säbelte) und fand es unmöglich, dass da keine zwei Haare die gleiche Länge hätten und kurzerhand schnitt sie die Pinselhaare auf eine Länge. Als meine Großmutter aus dem Wald zurück kam, zeigte meine Mutter ihr gleich stolz ihr Werk und wartete auf Lob.

Innerlich weinte meine Großmutter, da sie aber wußte, dass meine Mutter es gut gemeint hatte, lobte sie sie trotzdem, aber es muß ihr sehr, sehr schwer gefallen sein.

Ich hatte viele Jahre später auch was davon, denn auch ich wollte meiner Mutter etwas Gutes tun und in Ermangelung von Pinseln nahm ich mir etwas Größeres vor: Den Perserteppich in unserem Wohnzimmer!

Das vordere Wohnzimmer war etwa 4x5 Meter und der Teppich raumfüllend, also richtig teuer und er hatte Teppichfransen. Teppichfransen mußten was Tolles sein, denn die wurden regelmäßig mit einem Stahlkamm geradegekämmt. Störend fand ich allerdings, dass die irgendwie alle unegal lang waren und das wollte ich für meine Mutter jetzt in Ordnung bringen.

Vielleicht kann man sich vorstellen, was dabei rauskommt, wenn ein Kind mit einer Nagelschere(!) über mehrere Meter versucht, freihändig zu schnibbeln, kurz: Es war krumm! Naja, macht ja nix, waren ja genug Fransen dran, also nochmal von vorne. Da das leider auch nicht wirklich besser war, ich aber so schnell nicht aufgeben wollte, waren am Ende überhaupt keine Fransen mehr dran, das aber wenigstens halbwegs gleichmäßig und stolz präsentierte ich mein Werk meiner Mutter.

Ich vermute, nur ihrer eigene Geschichte mit den Fuchshaarpinseln hat mir das Leben gerettet und es hat eine ganze Weile gedauert, bis endlich ein Teppichknüpfer gefunden war, der wochenlang bei uns saß und neue Fransen anknüpfte, das Teil war nämlich so groß, dass es unmöglich gewesen wäre, das weg zu geben.

Erst viele Jahre später verstand ich, was ich da überhaupt angerichtet hatte, und was das wohl gekostet haben mochte und vor allem, welche Überwindung es meine Mutter gekostet haben mußte, sich auch noch bei mir zu bedanken.
Wo ich es doch nur gut gemeint hatte ...