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Schußwaffengebrauch in früher Kindheit

Endlich weiß ich, woher ich seit frühster Kindheit den Unfug her habe: Von meinem Vater!

Meiner Schwester ist heute eingefallen, dass da mal eine Situation war, wo sie -eingehüllt in Mutters zartestes Neglige (natürlich ist sie ständig darüber gestolpert, weil doch etwas lang für sie) - mit einem alten Armee-Revolver Einbrecher verjagen wollte. Bei der Gelegenheit ist uns dann gemeinsam eingefallen, dass mein Vater mal diesen Revolver abgefeuert hat, das aber im Wohnzimmer und leider, leider noch eine Tränengaspatrone im Lauf steckte.

Die folgenden Wochen konnte man sich übrigens in keinem der Wohnzimmer aufhalten und es hat wirklich lange gedauert, bis man dort wieder atmen konnte. Bis meine Mutter aufhörte, nach Luft zu schnappen, hat noch etwas länger gedauert, aber das lag wohl mehr an ihrer Empörung als am Tränengas.

Irgendwie finde ich die Geschichte aber auch etwas traurig, denn ich wäre lieber selber Schuld an all dem Unfug meiner Kindheit

Früh übt sich, was kein Mädchen werden will

Weihnachten war eine schwierige Zeit. Schon immer!

Nicht genug damit, dass es regelmäßig eine Überdosis Familie gab (und damit leider eine Überdosis Aufmerksamkeit), es strapazierte meine Geduld regelmäßig über Gebühr. Wegen der ständig anwachsenden Anzahl von Geschenken, die irgendwo versteckt werden mussten, wurde mein Zuhause zu einer immer größeren Sperrzone, was immerhin den Vorteil hatte, dass ich ziemlich viel raus durfte, aber wann immer ich doch mal Zuhause war, hatte ich garantiert irgend einen Erwachsenen im Nacken, der ständig guckte, ob ich bloß nicht aus Versehen eines dieser hochgeheimen Verstecke finden würde (was völliger Blödsinn war, ich interessierte mich sowieso nicht für Geschenke und das aus gutem Grund!).

Heilig Abend war immer besonders schlimm, denn da zog sich meine Mutter mit dem Weihnachtsmann ins hintere Wohnzimmer zurück: Weihnachtsbaum schmücken! Die Beiden (also Mutter und der Weihnachtsmann) brachten meine kompletten Wirkungskreise durcheinander denn mal ganz abgesehen von Weihnachten, hatte ja auch ich meine Geheimverstecke und zwar ganzjährig, um die Weihnachtszeit aber echte Probleme, da dran zu kommen (außerdem bestand das Risiko, dass meine Mutter bei der Suche nach Verstecken versehentlich eines meiner Verstecke fand).

Eines Abends fand ich mich dann auch vor der verschlossenen Wohnzimmertür und quengelte, wie lange das denn noch dauern würde (ich hatte mal wieder einen Wecker zerlegt und wollte die belastenden Reste in meinem üblichen Versteck verschwinden lassen, Mülleimer schieden für sowas nämlich aus, die wurden eingehend untersucht, bevor sie das Haus verließen) und meine Mutter erklärte, sie und der Weihnachtsmann hätten noch hundert silberne und hundert goldene Lamettafäden aufzuhängen. Da ich wußte, dass bei uns Lametta einzeln aufgehängt wurde, brach ich kurzerhand mit einem Weinkrampf vor der Tür zusammen, was den Nachteil hatte, dass meine Mutter sofort die Tür öffnete und mich trösten wollte und ich keine Zeit mehr hatte, den frisch zerlegten Wecker verschwinden zu lassen.

Wenn dann der Baum endlich mal fertig war, gab es dann auch irgendwann die Bescherung, die aus meiner Sicht immer eine echte Bescherung war, denn nach wie vor hielt sich hartnäckig das Gerücht, ich sei ein Mädchen und entsprechend bekam ich immer Mädchenkram. Nur im zarten Alter von fünf gab es eine erfreuliche Ausnahme, wenn auch erst im zweiten Anlauf:

Vati hatte uns Puppenwagen gekauft. Aus England, mit echter Seide bespannt und natürlich sündhaft teuer. Meine Schwester bekam das Modell mit rosa Seide, ich das mit himmelblauer Seide. Grau-en-haft!

Meine Schwester war hingerissen und schleppte sofort all ihre Puppen an, ich machte (schon mangels Puppen) erst mal eine Denkpause, bedankte mich artig und zog mit dem ungewollten Puppenwagen davon.

Dreißig Minuten später war ich wieder da, mit Puppenwagen und strahlendem Gesicht! Ich hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis ich die ganze olle Seide endlich abgerissen hatte, die Seidendeckchen und -kissen im Müll versenkt und in dem -jetzt Bollerwagen- all mein Werkzeug und meinen Krempel verstaut hatte und Vati erklärte, er sei der beste Vati auf der ganzen Welt.

Soweit ich mich erinnere, war das allerdings das einzige Weihnachten, das mir jemals gefallen hat und Ostern finde ich mindestens genau so doof.

Immer wieder sonntags ...

Sonntage waren in meiner frühen Kindheit schwierig.

Etwas erträglicher wurden sie nur, wenn ich mich daneben benommen hatte, was im ersten Moment mal unlogisch klingt.

Das Schwierige an Sonntagen waren nicht so sehr die Kirchgänge, das kannte ich schon von während der Woche und irgendwie hatte ich mich daran auch gewöhnt, das Schwierige waren Seidenschleifchen!

Sontags wurde ich "fein gemacht" und dazu wurde ich aus meiner (inzwischen heiß geliebten) Lederhose geschält und in ein Kleidchen gesteckt und dann begann das Haar-Drama: Ich hatte sehr lange Haare und das strikte Verbot, die abzuschneiden (an irgendwas sollte man erkennen können, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen war), was mich nicht daran hinderte, es immer wieder zu versuchen, denn lange Haare waren lästig. Nachdem meine Haare also erst mal eine halbe Ewigkeit gebürstet wurden, wurden sie anschließend zu Zöpfen geflochten (bis dahin entsprach das noch dem Wochentags-Prozedere), aber dann kamen die Seidenschleifchen. Es gab Seidenschleifchen in allen Farben, passend zu allen Kleidchen und immer waren sie frisch gebügelt. Meine Großmutter war erklärte Tee-Trinkerin und immer stand ein hochglanzpolierter Kessel auf dem Herd. Über diesen heißen Kessel wurden die Seidenschleifchen gezogen, was genauso gut war wie bügeln und dann wurden die gebügelten Schleifchen in meine Zöpfe gebunden und ab da sollte ich mich dann benehmen (ich vermute, damit war gemeint, dass ich mich wie ein Mädchen benehmen sollte, kam also nicht in Frage) und vor allem auf die doofen Schleifchen aufpassen.

Ich wollte keine Schleifchen, ich fand Schleifchen doof, lästig, störend, aber offensichtlich war das meine Mutter, wie auch meiner Großmutter, wichtig, denn warum sonst hätten sie sich soviel Arbeit damit gemacht? Also versuchte ich, auf meine Schleifchen aufzupassen, sie nicht zu verlieren, nicht zu verknittern und möglichst da zu lassen, wo sie waren. Kurz: Ich war praktisch vollständig handlungsunfähig!

Nur wenn ich mich danaben benommen hatte, wurde ich von der Schleifchen-Zuteilung ausgeschlossen und zur Strafe mußte ich sonntags in einem farbverkleckerten Hemdchen (meine Großmutter war Künstlerin und arbeitete nebem Metallen auch viel mit Farbe und ihre Hemden, aus denen längst die vielen Flecken nicht mehr rausgingen, waren für mich groß genug als Kittelchen)  und offenen Haaren auf die Straße gehen. Alle Leute sollten sehen, dass ich kein braves, hübsches Mädchen war.

Es war einfach toll!

Wieso hört keiner auf mich?

Man kann nicht behaupten, ich sei so ganz ohne Vorwarnung über die Welt hereingebrochen!

Ganz abgesehen davon, dass ich für meine Mutter wohl keine sonderlich ruhige Schwangerschaft gewesen war (meine Schwester hatte sich natürlich vorbildlich verhalten), war auch meine Geburt eine etwas schwierige Angelegenheit gewesen und vor allem mein Versuch, von Anfang an klarzumachen, dass das mit mir nichts wird, aber auf mich wollte ja keiner hören.

Wie sich das für meine Familie gehörte, lang meine Mutter standesgemäß in der teuersten Privatklinik der Stadt und bemühte sich (vergeblich!) dem Professor klarzumachen, dass das mit der Geburt längst überfällig war, aber als Professor wußte er das besser.

Irgendwo hatte aber auch ich meine Sturheit her und meine Mutter bestand schließlich darauf, die Geburt künstlich einleiten zu lassen (damals nicht gerade üblich und zudem ziemlich riskant), es wurde also mit einer sehr langen, sehr dünnen und sehr spitzen Nadel die Fruchtblase angestochen und kurz danach kam ich dann endlich zur Welt, wenn auch blutüberströmt und laut brüllend. Der gute Professor hatte es mit der Nadel etwas zu gut gemeint und so nicht nur die Fruchtblase angestochen, sondern mir das Dinge genau zwischen die Augen und wenn man bedenkt, dass auch Dickschädel bei der Geburt noch einen ziemlich kleinen Kopf haben, grenzt es fast an ein Wunder, dass er mir nicht ein Auge ausgestochen hat oder mich gleich komplett erledigt hatte.

Meine Mutter hatte übrigens Recht gehabt mit ihrer Berechnung, denn ich zeigte bereits starke Fruchtwasservergiftungen. Die Haut hing an vielen Stellen lose an mir runter, ich roch ziemlich gammelig und hatte überall am Körper dicke, gelbe Stippen mit schwarzen Punkten drauf (Eiterblasen). Das Highlight müssen aber meine Haare gewesen sein: Ich hatte büschelweise pechschwarze Haare, die senkrecht vom Kopf abstanden und hart wie Draht waren, wovon aber nicht zwei die gleiche Länge hatten und die Schwestern nannten mich "den wildgewordenen Handfeger" und mit diesen markanten Merkmalen ist absolut sicher, dass ich später nicht verwechselt wurde, mich hätte man überall rausgefunden.

Alles in allem war das aber eine klare Ansage gewesen, die nur niemand verstanden hatte: Von Anfang an hatte ich versucht, meiner Mutter klarzumachen, dass das mit mir nur Probleme gibt und sie das mit meiner Geburt besser lassen sollte, aber sie mußte sich ja unbedingt einen Professor dazuholen und auch mein Versuch, mich in die Nadel zu stürzen und meine Geburt doch noch irgendwie zu verhindern, war ignoriert worden.

Tja, dann kein Mitleid, Ihr habt es so gewollt!

Gut gemeint ist nicht automatisch auch gut gemacht

Meine Großmutter war schon eine beeindruckende Frau.

Ursprünglich Wienerin (was etwas völlig anderes ist als etwa "Österreicherin", wie ich früh lernte, wobei mir nie klar war, wo da jetzt der Unterschied ist), war sie als Architektin nach Deutschland gekommen und zu ihrer Zeit eine recht bekannte Künstlerin, die auch im Ausland große Ausstellungen hatte, was für eine Frau schon ziemlich beeindruckend war.

Sehr früh stellte sie fest, dass sie mit dem politischen Regime so überhaupt nicht einverstanden war und wie die Frauen unserer Familie nun mal so sind, tat sie das nicht gerade heimlich oder leise. Eine Zeit lang schützte sie der Umstand, dass sie mit einem hohen Offizier verheiratet war (nur eine ihrer sieben Ehen), den hatte sie aber längst verlassen, genau wegen seiner politischen Gesinnung. Auf Dauer wurde das dann aber doch etwas gefährlich und so beschlossen die Amerikaner 1943, sie auszufliegen und in Sicherheit zu bringen. Ihr gesamtes Hab und Gut wurde in einem Eisenbahnwaggon eingelagert und verplompt und stand bis Kriegsende auf einem Abstellgleis unter amerikanischer Aufsicht (wo sie übrigens nach Kriegsende alles in genau dem Zustand wieder abholen konnte), sie selber und meine Mutter (damals 3 Jahre alt), wurden auf den Kranzberg gebracht. Landschaftlich ziemlich hübsch, ansonsten mehr als abgelegen und den Großteil des Jahres war sie auf sich alleine gestellt, besonders im Winter, denn da war der Kranzberg zugeschneit und nicht mehr zu erreichen. Immerhin sicher war es dort! (Im ersten Winter sah meine Großmutter sich übrigens gezwungen, entweder zu erfrieren, oder alleine einen Baum zu fällen. Sie entschied sich für, bzw. gegen den Baum, denn der war ja anschließend tot, weil gefällt.)

Alles, was irgendwie mit Nachschub zu tun hatte, war eine ziemlich schwierige Angelegenheit und so war es für meine Großmutter ein riesiges Geschenk, als sie aus Schweden echte Fuchshaarpinsel bekam, als Künstlerin brauchte sie Material, nur die Beschaffung war inzwischen praktisch unmöglich geworden, noch dazu auf dem Kranzberg.

Leider hatte sie nicht damit gerechnet, dass meine Mutter ihr etwas Gutes tun wollte, die sah nämlich die Pinsel (derweil meine Großmutter mal wieder im Wald an ihrem Baum säbelte) und fand es unmöglich, dass da keine zwei Haare die gleiche Länge hätten und kurzerhand schnitt sie die Pinselhaare auf eine Länge. Als meine Großmutter aus dem Wald zurück kam, zeigte meine Mutter ihr gleich stolz ihr Werk und wartete auf Lob.

Innerlich weinte meine Großmutter, da sie aber wußte, dass meine Mutter es gut gemeint hatte, lobte sie sie trotzdem, aber es muß ihr sehr, sehr schwer gefallen sein.

Ich hatte viele Jahre später auch was davon, denn auch ich wollte meiner Mutter etwas Gutes tun und in Ermangelung von Pinseln nahm ich mir etwas Größeres vor: Den Perserteppich in unserem Wohnzimmer!

Das vordere Wohnzimmer war etwa 4x5 Meter und der Teppich raumfüllend, also richtig teuer und er hatte Teppichfransen. Teppichfransen mußten was Tolles sein, denn die wurden regelmäßig mit einem Stahlkamm geradegekämmt. Störend fand ich allerdings, dass die irgendwie alle unegal lang waren und das wollte ich für meine Mutter jetzt in Ordnung bringen.

Vielleicht kann man sich vorstellen, was dabei rauskommt, wenn ein Kind mit einer Nagelschere(!) über mehrere Meter versucht, freihändig zu schnibbeln, kurz: Es war krumm! Naja, macht ja nix, waren ja genug Fransen dran, also nochmal von vorne. Da das leider auch nicht wirklich besser war, ich aber so schnell nicht aufgeben wollte, waren am Ende überhaupt keine Fransen mehr dran, das aber wenigstens halbwegs gleichmäßig und stolz präsentierte ich mein Werk meiner Mutter.

Ich vermute, nur ihrer eigene Geschichte mit den Fuchshaarpinseln hat mir das Leben gerettet und es hat eine ganze Weile gedauert, bis endlich ein Teppichknüpfer gefunden war, der wochenlang bei uns saß und neue Fransen anknüpfte, das Teil war nämlich so groß, dass es unmöglich gewesen wäre, das weg zu geben.

Erst viele Jahre später verstand ich, was ich da überhaupt angerichtet hatte, und was das wohl gekostet haben mochte und vor allem, welche Überwindung es meine Mutter gekostet haben mußte, sich auch noch bei mir zu bedanken.
Wo ich es doch nur gut gemeint hatte ...

Unheilvolle Stille

Ich war ein besonders interessiertes und ebenso motiviertes Kind und meine Mutter mit Mitte dreißig komplett grau (Sie behauptet natürlich, es habe da einen Zusammenhang gegeben, das streite ich aber entschieden ab!).

Solange meine Mutter mich hören und/oder sehen konnte, war fast alles in Ordnung, aber wehe, sie hörte oder sah länger als 10 Minuten nichts von mir, sofort witterte sie Unheil (womit sie so ziemlich immer genau richtig lag).

Irgendwann fing das an, mir etwas auf die Nerven zu gehen und echt lästig zu werden, es musste also ein gescheite Strategie her.

Meine Großmutter erzählte mir immer was vom lieben Gott, las mir stundenlang aus der Bibel vor und schleppte mich in die Kirche, wo ich immer andächtig still sein sollte. Zu irgendwas musste das doch gut sein und schließlich zahlte sich das doch noch aus: Ich richtete mich häuslich im vorderen Wohnzimmer hinter der einen Couch ein (sie stand quer vor einer Ecke, dahinter war also etwas Platz) und wartete. Still natürlich.

Ein paar Minuten später tauchte natürlich meine Mutter auf, der diese Stille unheilvoll laut dröhnte und fragte, was ich da denn bitte mache?

"Stör mich bitte nicht, ich unterhalte mich mit dem lieben Gott!" erklärte ich ihr und tief beeindruckt ging sie wieder.

Leider hat das nicht sehr lange gehalten, denn beim nächsten Hausputz fand sie heraus, was für hübsche Handabdrücke ich mit dem grünen Pril an die Tapete hinter dem Sofa machen konnte ...