... und warum ich mich über den inflationären Gebrauch des Wortes "Motivation" ärgere.
Da meine Schwester fast zwei Jahre älter ist als ich, hatte sie schon
einen ernsten Job (die Schule), während ich immer noch im Sandkasten
(Kindergarten) hockte und ich beneidete sie glühend. Sie lernte jeden
Tag spannende Sachen und hatte so aufregende Herausforderungen wie
Hausaufgaben zu bewältigen, während mir immer noch jeden Abend die
Taschen nach Fröschen, Schnecken und Käfern umgedreht wurden und meine
Mutter sich langsam an den Gedanken gewöhnte, dass aus mir vermutlich
niemals eine junge Dame werden würde. Vielleicht aber, so hoffte sie im
Stillen, würde aus mir wenigstens eine kluge junge ... hm ... Person
werden (das mit der "Dame" war wirklich sehr unwahrscheinlich)?
Eines Tages kam sie mit zwei dicken Mappen heim, die eine feuerrot
eingebunden, die andere dunkelblau. Neugierig fragte ich, was das denn
sei und sie erklärte mir, dass diese Mappen für mich wären, allerdings
noch nicht jetzt, denn ich könne bestimmt noch nichts damit anfangen.
Nanu? Also das wollte ich natürlich genauer wissen und so löcherte
ich sie so lange, bis sie mir schließlich die Mappen zeigte und mir
erklärte, dass das rote eine Rechenfibel und das blaue eine Lesefibel
sei, ich damit aber bestimmt noch nichts anfangen könne, bevor ich in
die Schule käme, denn damit müsse man lernen und Aufgaben machen und ich
würde bestimmt lieber den ganzen Tag spielen statt so langweilige
Sachen zu machen.
Lernen? Hausaufgaben? Na und ob ich das wollte! Sofort und auf der
Stelle und so dringend wie überhaupt nichts, das ich jemals gewollt
hatte!
Meine Mutter ließ mich zwei Tage betteln und schmoren, bevor sie
sich endlich "breitschlagen" ließ, mit mir zusammen die beiden Fibeln zu
bearbeiten und so lernte ich Lesen, Schreiben und Rechnen lange bevor ich in die
Schule kam und das noch mit einer Begeisterung, die kaum Grenzen
kannte.
Viele Jahre später haben wir uns mal darüber unterhalten
und meine Mutter erzählte, dass sie genau das hatte bewirken wollen:
Dass ihre Tochter mit Begeisterung und hochmotiviert lernt, dass sie
sich aber durchaus bewußt gewesen war, dass Motivation nur greift, wenn
sie auf den nötigen Ehrgeiz trifft und das richtige Thema zum richtigen
Zeitpunkt gewählt wird.
Was meine Mutter schon vor Jahrzehnten wußte und erfolgreich anzuwenden verstand, scheint heutzutage verloren gegangen zu sein:
Heute
redet man über Motivation, als sei das etwas, das man beliebig mit der
Gießkanne über Mitarbeiter auschütten könne und dann funktionieren muß.
Funktioniert das nicht, ist man frustriert. Motivation ist aber keine
eindimensionale Angelegenheit, Motivation greift auch heute nur, wenn es
das richtige Thema ist, zum richtigen Zeitpunkt und wenn sie auf
Ehrgeiz trifft und überhaupt noch nie hat der Anspruch "Motivier' mich mal" funktioniert.
Das Leben ist ziemlich einfach, wenn man mal das ganze Bromborium wegläßt und statt "mit dem Blick auf das Große" die Dinge in ihrer Winzigkeit betrachtet.