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Schwierige Vorgesetzte

Schon in meiner ersten Beurteilung im ersten Lehrjahr stand "Nicht leicht zu führen" und so wirklich viel hat sich bis heute daran nicht geändert. Das mag aber auch daran liegen, dass die Sache mit den Führungskräften nicht immer so ganz einfach ist: Schwester Tadea hatte ich mit dem Kindergarten hinter mir gelassen, Herr Funnekötter (die nächste höchste Instanz in meinem kleinen Leben und mein erster Grundschullehrer) hatte mich über die Sommerferien durch Tod hinter sich gelassen und in der Lehre war das dann echt kompliziert geworden, denn einige davon mochte ich einfach nicht, was üblicherweise auf Gegenseitigkeit beruhte. Besonders nicht mochte ich unsere "Leiterin Hotelabteilung" (nicht ahnend, dass ich diesen Titel Jahre später selber tragen würde).

Eine durchaus beeindruckende Dame, der ich nach wie vor hohe Fachkompetenz zugestehe, aber bei Sozialkompetenz war sie eine Nullnummer, auch wenn ich zugeben muss, dass ich sehr viel von ihr gelernt habe (dummerweise hat sie mich in einem Beurteilungsgespräch mal direkt gefragt, ob ich etwas von ihr gelernt hätte und meine Antwort hat sich nicht unbedingt positiv auf meine Beurteilung ausgewirkt: Ja, habe ich, nämlich wie ich es auf keinen Fall machen werde!").

Zu der Zeit war Trinkgeld noch erwähnenswert und an der Rezeption verging kein Morgen ohne mindestens ein bis zweihundert Mark Trinkgeld. Dieses Trinkgeld war allerdings bei besagte Leiterin Hotelabteilung abzugeben und wurde von dieser nach einem unbekannten Schlüssel ungefähr monatlich an die Mitarbeiter verteilt. Bekannt war nur, dass Azubis mit einem festen Betrag von 50 Mark bedacht wurden, es sei denn, die Dame hatte entschieden, das gesamte Trinkgeld für irgendwelche Zwecke zu spenden. Natürlich ohne zu fragen!

So ganz habe ich nie an die Spenden geglaubt, denn die Dame litt an chronischem Geldmangel (kein Wunder, wenn man jeden Tag mit dem Taxi zur Arbeit und wieder zurück fährt, das geht auf Dauer ins Geld, aber ihren Führerschein bewahrte eine Behörde für sie auf, Trunkenheit am Steuer war schon damals nicht gern gesehen). Es hätte sich aber niemals jemand gewagt, irgendwas zu sagen, auch dann nicht, wenn mal wieder Geld in der Kasse fehlte. Die Kasse konnte zwei Minuten vorher gezählt worden sein und gestimmt haben, sie wechselte sich nur mal kurz Geld für Zigaretten und man durfte scher sein, dass durchschnittlich 20 Mark fehlten. Ok, nicht meine Kasse, nicht mein Geld, ergo nicht meine Baustelle.

Die Azubis der Rezeption mussten regelmäßig die freien Tage der Shop-Leitung (Verkauf von Mövenpick Eis, Kuchen, Wein und etwa einer Million Geschenkartikel) übernehmen, ich besonders häufig und an jedem Feierabend kam sie in den Shop, ließ sich ein Stück Kuchen einpacken, den die nicht bezahlte und den ich ihr auch noch ins wartende Taxi tragen durfte.

Das war dann allerdings tatsächlich meine Baustelle, aber nicht mal ich war so wahnsinnig, sie zu fragen, ob sie nicht der Meinung sei, dass auch sie für Kuchen bezahlen müsse, gleichzeitig hatte ich aber auch eine Verantwortung meinem Arbeitgeber gegenüber und das hier war eindeutig Diebstahl, also was tun?

Jeden Abend war im Logbuch der tägliche Umsatz des Shops einzutragen und die Kuchenkontrolle und das Logbuch wurde jeden Morgen vom Direktor abgezeichnet. Die Kuchenkontrolle war allerdings alles andere als eine echte Kontrolle, die wurde nämlich von hinten nach vorne errechnet, statt gezählt: Anzahl Kuchenstücke, die man abends ins Kühlhaus brauchte, minus Anzahl verkaufter Kuchen laut Kassenjournal, minus Anzahl Bons aus dem Restaurant war der Anfangsbestand, es gab also niemals eine Differenz. NIE!

Jedenfalls bis dahin. Da klar war, dass ich die Dame nicht würde ansprechen dürfen (zumindest nicht, wenn ich überleben wollte), das aber nicht einfach so stehen lassen wollte, machte ich meine Eintragung der Kuchenkontrolle so, dass das erste Mal eine Differenz entstand und schrieb im Logbuch erklärend dazu: "Ein Stück Mohntorte (DM 3,50) hat Frau [Name entfernt wegen Datenschutz oder was auch immer] mitgenommen." und legte das unserem Direktor brav in sein Fach. Was der jetzt damit machen würde, war nicht mehr meine Angelegenheit und lag eindeutig außerhalb meines Kompetenzrahmens.

Die Logbücher der einzelnen Abteilungen wurden am nächsten Tag um 10 Uhr beim täglichen Kadermeeting wieder an die Abteilungen verteilt und um 10:45 des nächsten Tages fand ich mich prompt strafversetzt auf der Etage wieder, wo ich Zimmer putzen durfte, statt Geschenkartikel zu verpacken und die Uhl'sche Schleife zu üben: Der Direktor hatte die Dame im Kadermeeting seidenweich gefragt, was sie von unserer Mohntorte halte und die schwärmte gleich los, wie gut die sei und mit den Worten "Dann sollten Sie sie das nächste Mal bezahlen. Das von gestern umgehend!" knallte er ihr das Logbuch hin.

Meine Strafversetzung dauerte allerdings nur knapp zwei Stunden, dann lief ich unserem Direktor über den Weg, der nicht schlecht staunte, als er mich in Zimmermädchen-Uniform sah und wortlos aber wutschnaubend davon stampfte. Zehn Minuten später durfte ich mich dann das zweite Mal an dem Tag umziehen und fand mich umgehend im Shop wieder bei meinen Schleifchen, Kaffee, Eis, Wein und Kuchenstücken.

Von da an hatte ich in der Dame einen leidenschaftlichen Feind und das blieb bis zum letzten Tag so. Ihrem letzten Tag übrigens, denn die Dame durfte vor mir gehen und konnte mir auch nichts mehr tun, dafür sorgte unsere Direktor schon :-)

Warum ich soviel rede und schreibe

Kurz vor dem Abitur war ich wohl irgendwie nicht ganz ausgelastet, also gönnte ich mir einen schweren Autounfall.

Nachdem mein kleiner VW-Käfer sich dreimal um sich selber gedreht hatte, einer Straßenlaterne das Lichtlein ausgepustet hatte und einen nagelneuen Citroen fachgerecht zum Totalschaden verschrottet hatte, bremste er mit einer Bushaltestelle, die danach auch nicht mehr zu brauchen war, weil komplett flach gelegt.

So richtig gesund war das allerdings nicht und so verbrachte ich längere Zeit auf der Intensivstation, auf der ich mich erfolgreich weigerte, an meinen diversen Verletzungen zu sterben. Neben diversen Knochenbrüchen, Organquetschungen, einem Leberriß, kaputten Knien und einer veränderten Wirbelsäule waren die schweren Kopfverletzungen wohl das, was den Ärtzen am meisten Kopfschmerzen machte und jeden Tag wurde neu diskutiert, ob man nicht doch besser den Schädel öffnen sollte, denn auf meinem etwas ungewöhnlichen Weg durch die Kreuzung hatte ich erst mit dem Kopf das Seitenfenster eingeschlagen, dann eine kurze Pause gemacht und den Unterkiefer auf das Lenkrad gebettet, um dann nochmal richtig Anlauf zu nehmen und die Windschutzscheibe zu durchschlagen. Dickschädel halt.

Da Kopfverletzungen sehr stark bluten, hatte es ziemlich lange gedauert, die ganzen Splitter aus meinem Kopf zu holen und bis auf einen hat man auch alle gefunden. Der eine war mit soviel Wucht eingeschlagen, dass er die Schädeldecke durchschlug und sich bis heute in meinem Hirn einen unguten Weg bahnt, die meiste Zeit aber friedlich ist. Erst viele Jahre später stellte sich heraus, dass sich aus einer Quetschung eine Art Blutgerinnsel gebildet hatte, dummerweise aber so ungünstig lag, dass man es weder therapieren, noch operieren konnte, weil es mitten im Sprachzentrum lag. Leider lag es da nicht nur rum, sondern würde mich nach Ansicht der Weißkittel demnächst erledigen und demnächst sollte recht bald sein, das Hirn wurde nämlich nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, löste sich bereits teilweise von der Schädeldecke und legte das Sprachzentrum lahm.

Tja, da saß ich also nun und sollte daheim auf dem Stühlchen hocken und warten bis ich sterbe und das einzige, was man mir therapeutisch noch anbieten konnte, war eine psychologische Begleitung, die ich aber ablehnte, schon darum, weil ich nicht mehr sprechen und schreiben konnte. Lesen allerdings konnte ich seltsamerweise immer noch und so beschloss ich, sprechen und lesen alleine wieder zu lernen und fand das dafür perfekte Medium: Usenet! Usenet wird weltweit verteilt, ist sehr streng hierarchisch organisiert und besteht zu gut 90% aus Formalneurotiken, die gesteigerten Wert auf sauber gemischte Groß-/Kleinschreibung legen und nach dem fünften Rechtschreibfehler wenig höflich, dafür deutlich darum bitten, die Tür im Rausgehen leise zu schließen. Ein Medium, in dem noch immer gilt "Form vor Inhalt".

Na da war ich ja bestens aufgehoben und nachdem ich mehrere zehntausende von Postings gelesen hatte und am PC hartnäckig meine Schreibübungen gemacht hatte, wagte ich mich, dort auch zu schreiben, erst mal allerdings nur in Testgruppen, die an sich nur von Bots gelesen werden. Genau da wurden aber ein paar Leute auf mich aufmerksam, die mich irgendwie witzig fanden und einluden, auch in anderen Gruppen zu schreiben, was ich dann auch tat und so findet goolge bis heute tausende von Postings von mir aus der Zeit (Usenet wird nicht nur weltweit verteilt, sondern auch weltweit gespeichert und das in alle Ewigkeit).

Je mehr ich schrieb, desto mehr kam auch meine Sprache zurück, nur meine Pinnwand glich inzwischen einem Blätterwald, denn es gab und gibt Worte, die ich einfach nicht mehr lernen konnte und bis heute Buchstabe für Buchstabe abschreiben muss. "Tastatur" ist eines davon und ich war einer der wenigen Menschen, die total froh über die Rechtschreibreform waren, denn müssen, müsste, musste habe ich nie mehr zusammen bekommen. "s" oder "ß"? Ich habe keine Ahnung, dabei konnte ich das mal.

Es hat acht Monate gedauert, bis ich wieder richtig sprechen und schreiben konnte, trotzdem waren die Weißkittel weiter sicher, dass ich nicht mehr sonderlich lange zu leben hätte und an sich sogar bereits überfällig war, also rief ich meinen Direktor an und teilte ihm mit, dass ich bitte wieder arbeiten möchte. Autofahren konnte ich noch nicht wieder und es war klar, dass ich nicht wirklich einsatzfähig war, also stellten meine Mitarbeiter und Kollegen kurzerhand einen "Fahrdienst" auf die Beine: Ich wurde jeden Tag abgeholt und wenn es mir schlecht ging, umgehend wieder nach Hause gefahren. Mal war das eine Stunde, mal nur zwanzig  Minuten, aber nach zwei Monaten konnte ich wieder voll arbeiten und auch selber wieder Auto fahren.

Bis heute ist jedes Wort, das ich schreibe und jedes Wort, das ich spreche, ein persönlicher Sieg für mich, den ich mir hart erkämpft habe und auch wenn ich weiß, dass das oft anstrengend für andere ist, wird sich daran nichts ändern: Ich schreibe sehr viel und ich spreche sehr viel, es sei denn, mir schlägt eines Tages doch mal jemand den Schädel dafür ein. Was jetzt übrigens ausdrücklich keine Aufforderung sein soll!